Interview mit Marlehn Thieme
„Hunger ist ein lösbares Problem“Gespräch mit der Präsidentin der Welthungerhilfe, einer Nichtregierungsorganisation, die vor Ort in Ländern des Globalen Südens arbeitet. Marlehn Thieme spricht im Interview mit Friederike Bauer über die Ursachen von Hunger und was zu tun ist, um ihn zu beseitigen.
Veröffentlicht im Oktober 2023, aktualisiert im September 2025
Das Engagement unserer Mitarbeiter*innen, die mit großer Professionalität und Hingabe vorgehen, und die Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen vor Ort. Ich habe zum Beispiel in Malawi gesehen, welche positiven Wirkungen auch langfristig möglich sind.
Das war ein Projekt zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion – mit besserer Düngung. Das Prinzip ist einfach: Die Menschen halten Ziegen, die zu einer bestimmten Zeit auf die Felder getrieben werden, um dort zu düngen. Außerdem haben sie gelernt, nicht nur Mais anzubauen, sondern verschiedene Getreide- und Gemüsesorten wie Gurken, Kürbisse oder Melonen. Dadurch ist ihre Ernährung jetzt abwechslungsreicher. Die ersten Ziegen kamen von uns; die Lämmer wurden weitergereicht, bis alle welche hatten. Inzwischen gewinnen die Bäuerinnen und Bauern auch ihr eigenes Saatgut. Und noch etwas: Die Kinder gehen jetzt zur Schule. Es war fantastisch zu sehen, wie in einem der ärmsten Länder der Welt mit wenig Mitteln so viel erreicht, so viel Hoffnung und Zuversicht verbreitet werden kann.
Die Region in Subsahara-Afrika. Es beginnt mit dem Klimawandel und seinen Folgen am Horn von Afrika und endet bei den Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen im Sudan und Südsudan. Die höchsten absoluten Hungerzahlen in Afrika weisen Nigeria und die Demokratische Republik Kongo auf. Die Weltgegend ist eindeutig unser Sorgenkind, aber auch Haiti, Madagaskar und vor allem der Gazastreifen sind Hunger-Hotspots.
Kriegerische Auseinandersetzung haben leider enorme Auswirkungen. Das hat sich beim russischen Angriffskrieg in der Ukraine gezeigt, als ausbleibende oder geringere Exporte aus der Ukraine auch die Länder in Nordafrika und in Subsahara-Afrika trafen. Wir sehen es aber auch im Sudan oder aktuell im Gazastreifen. Dort beobachten wir humanitäre Katastrophen, die dringend ein Ende finden müssen. Auch nach 10 Jahren sind wir nach wie vor weit entfernt vom Ziel 2 der insgesamt 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) – kein Hunger bis 2030.
Das ist richtig. Die Lage war früher schlimmer. Aber wir sind nicht im Plan, um das Ziel zu erreichen, den Hunger bis 2030 zu beseitigen. Zumal die Auflösung von USAID die Hungerlage mit großer Wahrscheinlichkeit verschlimmern wird. Dabei ist das Problem eigentlich lösbar. Als Weltgemeinschaft haben wir das Know-how und auch die Ressourcen. Wir müssen sie nur richtig investieren und gerecht verteilen.
Es gibt nicht den einen Weg, um Hunger zu bekämpfen. Dafür sind die Gegebenheiten zu unterschiedlich: In manchen Teilen der Welt gibt es zu viel Wasser und Überschwemmungen. In anderen herrscht Dürre, wieder andere leiden unter Konflikten, manchmal ist es auch eine Kombination. Deshalb braucht es immer sehr regionale und lokal angepasste Maßnahmen, um die jeweiligen Lebensverhältnisse zu ändern. Aber überall kann man etwas tun. Manchmal sind Rückhaltebecken nötig, um in Regenzeiten Wasser zu stauen. An anderen Orten klügere Bewässerungssysteme, um das wenige Wasser möglichst effizient einzusetzen. Kurz gesagt: Es braucht lokal und regional angepasste Konzepte, die den Menschen in ihrer jeweiligen Umgebung helfen, sich aus dem Hunger zu befreien.
Derzeit produzieren wir ausreichend Essen. Ob sie auch bei steigender Weltbevölkerung genügen, hängt entscheidend davon ab, wie wir uns künftig ernähren. Weniger Fleisch spart Flächen und schützt Biodiversität. Wenn wir alle stärker pflanzen-basiert essen und weniger Lebensmittel verschwenden würden – etwa ein Drittel wird nie verzehrt –, reicht es auch für zehn oder mehr Milliarden Menschen.
In manchen Gegenden schlägt er schon mit voller Wucht zu. Am Horn von Afrika, in Madagaskar oder im Norden Kenias ist er für die Menschen dort sehr deutlich erkenn- und spürbar. Sie finden nur noch schwer eine Lebensgrundlage und sind zum Teil gezwungen, in andere Gegenden umzusiedeln. Auch in Pakistan, wo Überschwemmungen Ernten und Infrastruktur schon total vernichtet haben, ist der Klimawandel kein Thema von morgen, sondern bereits Realität. Hier braucht es jetzt Anpassungsmaßnahmen, die sich ebenfalls an den Gegebenheiten vor Ort orientieren müssen. Dieser Ansatz ist alternativlos, auch wenn er für internationale Organisationen wenig attraktiv sein mag.
Afrika kann zur Kornkammer der Welt werden; das Potenzial ist riesig. Allerdings ist der Kontinent auch besonders von Wetterextremen und den Folgen des Klimawandels betroffen – und die vielen Konflikte tun ein Übriges. Deshalb sind regional angepasste Strategien, die die gesamte Lieferkette umfassen und die Auswirkungen höherer Temperaturen mitberücksichtigen, so wichtig.
Ich würde es umgekehrt formulieren: Dort, wo Regierungen sich entsprechend einsetzen, kann man schnell Erfolge sehen. Wichtig ist hier, die Menschen zu befähigen, sie besser auszubilden, damit sie besser Landwirtschaft betreiben und resilienter gegenüber den Folgen des Klimawandels werden können.
Sie sollte möglichst schlank arbeiten und Bürokratie abbauen: Vorfahrt für das Tun und nicht die Verwaltung. Zudem wären längere Finanzierungszusagen wichtig, die durchaus an Zwischenziele gebunden sein könnten. Aber manche Projekte, gerade wenn sie auch kulturell verändernd wirken sollen, brauchen mehr als den üblichen Drei- bis Fünfjahres-Rhythmus. Und noch etwas; das betrifft eher die Bundesregierung: Das Engagement zur Ernährungssicherung darf nicht der schwierigen Haushaltslage zum Opfer fallen.
Wir bräuchten dafür mehr Mittel; davon mag man als verantwortlicher Steuerzahler in diesen Zeiten nicht sprechen, aber Kürzungen in einem so sensiblen Bereich, wie wir sie derzeit sehen, halte ich für sehr, sehr schwierig. Der Entwicklungshaushalt sollte nicht weiter schrumpfen. Denn Hunger geht neben dem menschlichen Leid auch immer mit Migrationsbewegungen einher. Es liegt in unserem eigenen langfristigen Interesse, hier nicht zu sparen.
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