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„Unsere Arbeit entscheidet über die Zukunft des Planeten“

Entwicklungsministerin Svenja Schulze über den Zusammenhang zwischen Biodiversität und Klimaschutz.

Ein Bild von einer Frau mit Hemd und Brille mit verschommenen Hintergrund
Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Der Verlust der Biodiversität ist nach dem Klimawandel die zweite globale Krise, heißt es in einer Erklärung Ihres Ministeriums. Danach hängt die Zukunft der Menschheit auch entscheidend von der weltweiten biologischen Vielfalt ab. Warum?

Ohne fruchtbare Böden, Luft zum Atmen, sauberes Trinkwasser und natürliche Rohstoffe können wir nicht leben, und dies alles gibt es nur mit intakten Ökosystemen. Sie ernähren uns, schützen uns vor Naturkatastrophen und vielen Auswirkungen der Klimakrise. Gleichzeitig leidet die Artenvielfalt massiv unter den Folgen des Klimawandels. Das Klima ändert sich zu schnell – da kommen die Arten und die Ökosysteme nicht mit. Das ist ein Teufelskreis, aus dem wir dringend ausbrechen müssen. Entwicklung für alle Menschen, Klimaschutz und der Erhalt der Biodiversität müssen im Einklang miteinander erfolgen. Das ist eine Herausforderung, die mich schon als Umweltministerin beschäftigt hat und an der ich jetzt als Entwicklungsministerin konkret weiterarbeiten kann. Unsere Arbeit entscheidet über die Zukunft des Planeten.

Jeden Tag verschwinden bis zu 150 Tier- und Pflanzenarten von der Erde. Warum ist das für das Leben der Menschen relevant?

Das Artensterben geschieht gerade in einem Tempo, das es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat. Die betroffenen Tier- und Pflanzenarten sind unwiderruflich verloren. Jede Art hat jedoch eine wichtige Funktion in einem Ökosystem, und so steigt mit jeder verlorenen Art die Wahrscheinlichkeit für einen Kollaps des Systems. Die Folgen sind dramatisch. Wir erleben jetzt schon die Vorboten: die Hungerkrise, Konflikte um das knappe Wasser, zunehmende Hitze. Die Auswirkungen belasten uns alle, besonders aber arme Länder und vulnerable Bevölkerungsgruppen – allen voran indigene Völker und lokale Gemeinden. Ihre natürlichen Lebensgrundlagen gehen verloren und Ressourcenkonflikte nehmen zu. Das ist besonders unfair, denn die vulnerablen Bevölkerungsgruppen haben am wenigsten zu den Ursachen des Biodiversitätsverlusts beigetragen.

Die internationale Aufmerksamkeit richtet sich heute vor allem auf den Ukrainekrieg und die Coronakrise. Wie können international wieder mehr Handlungswillen und Problembewusstsein für Klimaschutz und den Erhalt der biologischen Vielfalt geschaffen werden?

Ich sehe das anders: Klimaschutz hat eine hohe Aufmerksamkeit – in dieser Bundesregierung, aber auch in der Bevölkerung. Jede und jeder erlebt es: Der Klimawandel macht auch in Kriegszeiten keine Pause. Wir haben gerade einen Hitzesommer in Europa hinter uns, wie es ihn noch nie gab. Wir arbeiten entschieden für eine lebenswerte Zukunft unserer und kommender Generationen. Beim Treffen der G7-Staaten auf Schloss Elmau waren Klimaschutz und Biodiversitätserhalt Top-Themen. Wir arbeiten gerade auf allen Ebenen an einer erfolgreichen Weltklimakonferenz in Sharm El-Sheik im November und einem neuen globalen Rahmen für den Erhalt der Biodiversität, der auf der Weltnaturkonferenz in Montreal im Dezember beschlossen werden soll.

Eine Frau und zwei Männer auf dem Arbeitsfeld draußen
Bundesministerin Svenja Schulze mit Vertretern der indigenen Gemeinde im Madidi-Nationalpark in Bolivien.

Zwischen Naturschutz und dem Kampf gegen den Klimawandel kommt es immer wieder zu Konflikten, etwa bei der Energiewende beim Bau von Windrädern. Wie kann in den Partnerländern beides verbunden werden?

Natürlich gibt es Zielkonflikte, da geht es den Partnerländern nicht anders als uns. Es muss eine gute Balance zwischen Schutz und nachhaltiger Nutzung geben. Auch die Lösungen sind ähnlich, beispielsweise die Umweltverträglichkeit prüfen, naturverträgliche Standorte ermitteln. Und ganz wichtig: Bei diesen Prozessen müssen alle relevanten Interessengruppen einbezogen werden, vor allem die, die am meisten betroffen sind, aber am wenigsten beigetragen haben: die indigene und lokale Bevölkerung in unseren Partnerländern. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Eine nach haltige Landwirtschaft ist ein weiterer wichtiger Faktor. Und mit naturbasierten Lösungen können Wälder, Ozeane und Mangroven als natürliche Kohlenstoffsenken erhalten und gleichzeitig die Fähigkeit von Mensch und Natur zur Anpassung an ein sich veränderndes Klima gestärkt werden. Natürlich sind auch Naturschutzgebiete zum Erhalt der Ökosysteme extrem wichtig. Mit dem Weltnaturerbefonds, dem Legacy Landscapes Fund, haben wir zum Beispiel erst kürzlich ein wichtiges Instrument geschaffen, um ausgewählten herausragenden Schutzgebieten eine langfristige „Ewigkeitsfinanzierung“ und krisenunabhängige Planungssicherheit zu ermöglichen.

Im Moment schreitet die Erderwärmung weiter voran und Artenvielfalt geht weiter verloren. Wie optimistisch sind Sie, dass eine Trendwende noch gelingt?

In den letzten Jahren konnten wir bereits einiges bewirken: Die weltweite Entwaldungsrate ist im Vergleich zum vorangegangenen Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020 um ein Drittel gesunken. Schutzgebiete betragen heute bereits über 16 % der Landfläche und 8 % der Meere. Ohne diese und weitere Maßnahmen wären wahrscheinlich zwei- bis viermal so viele Vögel, Amphibien, Insekten und Säugetiere ausgestorben. Unsere Bemühungen zeigen Wirkung im Kleinen, und darauf müssen wir aufbauen. Noch haben wir die Chance, die biologische Vielfalt zu erhalten und den Planeten vor dem Kipppunkt zu bewahren. Artenvielfalt und Klimaschutz sind kein Luxus, sie sind überlebenswichtig – für uns und für alle zukünftigen Generationen.

Das Interview führte Michael Ruffert.