Energiewende 2.0 – mit grünem Wasserstoff

Solarpaneele einer Photovoltaikanlage in Marokko
Photovoltaikanlage in Ouarzazate / Marokko.
Portrait von Marie Plaisir
Marie Plaisir, IEE

Marie Plaisir vom Fraunhofer Institut Kassel (IEE), Judith Kammerer vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie Wesly Urena Vargas und Florian Ziegler, beide von der KfW Entwicklungsbank, im Interview. Sie gehören zu einem institutionenübergreifenden Team, das sich mit der Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff beschäftigt. Hintergrund: Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Dafür muss zum einen die Energieeffizienz verbessert werden und zum anderen müssen fossile Brenn- und Kraftstoffe durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Power-to-X – grüner Wasserstoff - dient als Katalysator für den verstärkten Ausbau der Erneuerbaren. Die KfW Entwicklungsbank hat im Auftrag der Bundesregierung mit Marokko und Tunesien Wasserstoffallianzen geschlossen, gegenwärtig werden Studien zum Bau einer Referenzanlage zur industriellen Produktion von grünem Wasserstoff in Marokko durchgeführt.

Frau Plaisir, Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in Kassel. Können Sie – auch für Leser ohne Ingenieursstudium – erklären, wie Wasserstoff erzeugt wird? Und wo liegt der Unterschied zwischen grauem und grünem Wasserstoff?

MP: Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen: Überwiegend wird bei der Herstellung Erdgas verwendet und unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt. Diese so genannte Dampfreformierung ist die Grundtechnologie. Das CO2 wird anschließend ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben und verstärkt so den globalen Treibhauseffekt. Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen etwas mehr als 10 Tonnen CO2.

Laut der Internationalen Energiebehörde (IEA) wurden 2019 weltweit ungefähr 70 Mio. Tonnen Wasserstoff produziert – eine enorme Menge. Dabei wurden 830 Mio. t CO2e emittiert, was ungefähr den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen im Jahr 2019 entspricht (805 Mio. t CO2e).

Für die Herstellung von grünem Wasserstoff wird elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen genutzt, in der Regel Photovoltaik oder Windenergie. Zurzeit macht elektrolytisch hergestellter Wasserstoff nur etwa 4 Prozent der weltweiten Wasserstoffproduktion aus. Zur Technologie: durch Elektrolyse wird das Wasser mithilfe des elektrischen Stroms zerlegt in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2). Im „Elektrolyseur“ gibt es zwei Elektroden, an denen Spannung anliegt, dazwischen befindet sich ein sogenannter Elektrolyt, eine Flüssigkeit oder eine Membran. An der Anode entsteht Sauerstoff, an der Kathode der heiß begehrte Wasserstoff - der grüne Wasserstoff.

Grafik zu grüner Energie und klimaneutralen Kraftstoffen 2020
Bislang 4 Prozent der weltweiten Produktion – es handelt sich also um eine neue Technologie?

MP: Die Elektrolyse an sich ist überhaupt nicht neu, wird seit vielen Jahrzehnten praktiziert und auch die Wasserelektrolyse gibt es schon lange, in Assuan / Ägypten zum Beispiel stand ein großer Elektrolyseur an einem Wasserkraftwerk. NEU ist zum einen die Skalierung – man will jetzt größere Anlagen bauen, zum anderen die Kombination mit erneuerbaren Energien. Das erfordert technische Anpassungen, weil erneuerbare Energien fluktuierend – nicht konstant – Strom erzeugen. Am IEE arbeiten wir seit vielen Jahren sehr intensiv an den notwendigen systemtechnischen Lösungen für die kosteneffiziente und nachhaltige Produktion von grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien.

Wesly Urena Vargas, KfW Entwicklungsbank
Wesly Urena Vargas, KfW Entwicklungsbank
Wesly Urena Vargas arbeitet als Ingenieur in der KfW Entwicklungsbank und begleitet Projekte im Bereich erneuerbare Energien. Wo lässt sich der grüne Wasserstoff einsetzen?

WUV: Das Spektrum ist sehr breit: das reicht von Brennstoff für Lkws bis zu Herstellung von Ammoniak für Düngemittel oder die Zementproduktion. Ein Beispiel aus Deutschland: die Salzgitter AG, das landesweit zweitgrößte Hüttenwerk will künftig Stahl mit grünem Wasserstoff statt wie bisher mit Kohle herstellen. Technisch ist das schon möglich. 95 Prozent der bisherigen CO₂-Emissionen könnten so vermieden werden. Bereits ab 2025 soll in Salzgitter CO2-armer Stahl auf der Basis von grünem Wasserstoff – mithilfe von Windenergie – hergestellt werden.

Portrait von Florian Ziegler
Florian Ziegler, KfW Entwicklungsbank
Die Bundesregierung setzt große Erwartungen in die Technik – die Energiewende soll neben erneuerbaren Energien und Energieeffizienz auch durch grünen Wasserstoff erreicht werden. Herr Ziegler, Sie sind Portfoliomanager für Energieprojekte in Nordafrika in der KfW. Wo genau sieht die Regierung die Chancen von grünem Wasserstoff für Deutschland / für Europa?

FZ: Nicht nur Deutschland, auch die EU hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Dafür muss zum einen die Energieeffizienz verbessert werden und zum anderen müssen fossile Brenn- und Kraftstoffe durch erneuerbare Energien ersetzt werden.

Das machen wir ja zum Teil auch schon – aber die Erneuerbaren können nicht überall direkt genutzt werden. Bei der Stromproduktion ist das beispielsweise möglich, nicht jedoch in der Schwerindustrie, Luft- und Schifffahrt oder der Grundstoffchemie, wo man sehr hohe Energiedichten benötigt. Dort wird grüner Wasserstoff gebraucht - ODER seine synthetischen Folgeprodukte wie grünes Methan, Methanol oder Ammoniak. Einen Großteil davon wird Deutschland importieren müssen.

Und genau daraus ergeben sich Chancen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Länder Nordafrikas, insbesondere Marokko, Tunesien und Algerien, haben ideale Bedingungen, es gibt hervorragende Standorte für Solar- und Windkraft. Und sie sind gut an die europäischen Märkte angebunden.

Für ein Land wie Marokko ergibt sich aus den Standortbedingungen eine doppelte Dividende: Einerseits haben sie die Chance, eine vielversprechende Exportwirtschaft aufzubauen. Und: Marokko ist zu über 90 % abhängig vom Import fossiler Energie und Grundstoffe. Das belastet die Leistungsbilanz. Durch den Aufbau einer Wasserstoffindustrie kann diese Abhängigkeit reduziert und lokale Wertschöpfung aufgebaut werden.

Und was denken Sie, wie und wann kann dieser Energieträger marktfähig werden? Wie lange werden Subventionen erforderlich sein?

FZ: Wasserstoff gilt nicht zuletzt wegen seiner Vielseitigkeit als wichtiges und zukunftsweisendes Element der Energieversorgung. Der Wert des grünen Wasserstoffs hängt davon ab, wo er verwendet wird. Es liegt daher nahe, zunächst jene Anwendungen zu erschließen, wo Wasserstoff bereits zum Einsatz kommt und wo verhältnismäßig viel CO2 vermieden werden kann. Das ist ja das Ziel, das uns antreibt. Während sich mit entsprechender Förderung bereits heute in der Grundstoffindustrie Anwendungsfälle ergeben, rücken bspw. Schiff- und Luftfahrt erst mittelfristig in den Fokus. Sicher ist: es werden zwar erhebliche Kostendegressionen erwartet, grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte werden allerdings noch viele Jahre teurer sein als ihre fossilen Alternativen. Das ist ähnlich wie bei der Photovoltaik vor 20 Jahren.

Klare regulatorische Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Anreize sind daher entscheidend für den Markthochlauf. Die Bundesregierung und die EU arbeiten derzeit an einer ganzen Reihe von Instrumenten. Dies reicht von Zuschüssen für die Markteinführung über Vorgaben zur Beimischung zu fossilen Kraftstoffen bis zur CO2-Bepreisung. Klimaprojekte mit innovativen Technologien wie dieser werden von der KfW im Auftrag des BMZ in Entwicklungs- und Schwellenländern mit einer Mischung aus Zuschüssen und zinsgünstigen Darlehen mit langer Laufzeit finanziert. So kann privates Kapital mobilisiert werden, das notwendig ist, um eine breite Marktdurchdringung zu erreichen.

Portrait von Judith Kammerer
Judith Kammerer, BMZ
Frau Kammerer ist im BMZ als Referentin für das Thema „Grüner Wasserstoff in Nordafrika“ tätig. Frau Kammerer, welche Ziele werden von der Bundesregierung im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie international verfolgt? Und konkret: wie kommen da die Entwicklungszusammenarbeit und Marokko ins Spiel?

JK: Das Engagement des BMZ im Bereich grüner Wasserstoff fußt auf der Nationalen Wasserstoffstrategie, die die Bundesregierung im Juni 2020 verabschiedet hat: Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz soll die Energiewende mit grünem Wasserstoff eine dritte Säule erhalten. Der grüne Wasserstoff soll nicht nur in Deutschland, sondern auch im Rahmen internationaler Partnerschaften gefördert werden. Dies soll dazu beitragen die Klimaziele, die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens eingegangen wurden, zu erreichen. Gerade in den Bereichen, wo erneuerbare Energien nicht direkt zum Einsatz kommen können, soll so dekarbonisiert werden.

Diese Aufgabe wird ressortübergreifend angegangen. Das BMZ fokussiert sich auf die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit den Partnerländern, wo die Bedingungen für die Produktion von grünem Wasserstoff gut sind. Ziel ist es, die Potenziale, die grüner Wasserstoff für die Wirtschaft der Partnerländer hat, zu entwickeln. Und zwar in sozioökonomischer – nationale Wertschöpfung ist da ein Stichwort - wie ökologisch vertretbarer und verträglicher Weise. Darüber hinaus kann der Export von grünem Wasserstoff und Power-to-X-Folgeprodukten dazu beitragen, den Bedarf des deutschen und europäischen Marktes zu decken.

Marokko war das erste Land, mit dem das BMZ das Zukunftsthema Energiewende aufgegriffen hat. Da spielen geografische und klimatische Faktoren eine Rolle, aber natürlich auch die langjährige gute Zusammenarbeit im Energiesektor mit sehr kompetenten und zuverlässigen Partnern. Seit etwa zwanzig Jahren werden im Land erfolgreich innovative Projekte umgesetzt – das sind beste Voraussetzungen für die gemeinsame Entwicklung eines Power-to-X-Sektors. Das BMZ hat daher mit Marokko die erste Wasserstoffallianz begründet und für 2020 fast 90 Mio. EUR Zuschussmittel für den P-t-X-Sektor bereitgestellt, weitere Investitionen werden in den nächsten Jahren folgen. In diesem Kontext wird das ambitionierte Projekt „Referenzanlage grüner Wasserstoff“ umgesetzt.

Entwicklungsländer liefern saubere Energie nach Europa – ist das ein Zukunftsmodell?

Marokko hat eine stabile Energieversorgung und ehrgeizige Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien. Das trifft allerdings nicht auf alle Entwicklungsländer zu. Grundsätzlich muss folglich darauf geachtet werden, dass die Mengen, die perspektivisch in großem Stil nach bspw. Europa exportiert werden sollen, zusätzlich zur Energieproduktion in den jeweiligen Partnerländern erzeugt werden. Also nicht zu Lasten der häufig unzureichenden erneuerbaren Energieversorgung in den Entwicklungsländern geht.

Wie sieht es in anderen Maghreb-Ländern aus, zum Beispiel in Tunesien?

JK: Die klimatischen Voraussetzungen sind ähnlich gut wie in Marokko und das Land hat großes Interesse daran, sich im Bereich Klima / grüner Wasserstoff zu positionieren. Wir haben Mitte Dezember 2020 eine Wasserstoffallianz für den Aufbau eines Power-to-X-Sektors unterschrieben – ein erster Schritt. 31 Mio. Euro Zuschussmittel stellen wir für erste Vorhaben zur Verfügung, die zum Teil auch mit der KfW Entwicklungsbank und der GIZ umgesetzt werden. Da geht es erst einmal darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, bevor hier zukünftig Produktionsanlagen entstehen können.

Ganz grundsätzlich: beim Thema Klimawandel haben wir keine Zeit zu verlieren – wir müssen schauen: wo stehen die Länder, wo kann man sie abholen und unterstützen?