Meldung vom 14.10.2022 / KfW Entwicklungsbank

Development Finance Forum 2022

„Das gesamte System der Erde droht zu destabilisieren" - Professor Johan Rockström beim Development Finance Forum der KfW

Mann steht auf Bühne
Professor Rockström: Die wissenschaftliche Analyse ist eindeutig; ein Weiterso ist nicht möglich.

Die Natur bildet einen Stresspuffer für die Erde. Steht die Natur aber selbst unter Druck, kann sie dieser Funktion nicht mehr ausreichend nachkommen. Als Folge ist dann das gesamte System der Erde in Gefahr. Genau an einem solchen Punkt befänden wir uns derzeit, sagte der schwedisch-deutsche Wissenschaftler und Leiter des Potsdam Instituts für Klimafolgen-Forschung, Johan Rockström, in Frankfurt.

Rockström hat die Key Note beim diesjährigen Development Finance Forum der KfW Entwicklungsbank gehalten, das den Titel trug: „Zwei Krisen, eine Lösung – wie Entwicklungsfinanzierung den Klimawandel und den Verlust an Biodiversität angehen kann.“ Zwei Tage lang diskutierten mehr als 200 Experten aus aller Welt darüber, wie diese Doppelkrise am besten zu bewältigen sei und welchen Beitrag die Entwicklungszusammenarbeit dabei leisten könnte.

In seiner ebenso klaren wie appellierenden Präsentation verwies Rockström darauf, dass wir derzeit mit vier überlagernden Krisen zu kämpfen haben: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Klimawandel und Druck auf die Umwelt. Dabei hätten wir mittlerweile sechs von neun sogenannten Belastungsgrenzen der Erde erreicht oder überschritten. Dazu zählen biochemische Kreisläufe genauso wie der Wasserkreislauf, die Biosphäre oder der Säuregehalt der Ozeane. Es stehe zu befürchten, dass die verschiedenen Faktoren sich gegenseitig so verstärkten, dass wir in nicht sehr ferner Zukunft an Kipppunkte kämen, bei denen das gesamte Erdsystem außer Kontrolle geraten könne und ein Leben in bisher gewohnter Form nicht mehr möglich sei.

Die Natur als Verbündete betrachten

Umso wichtiger sei es, die Natur so intakt wie möglich zu halten. „Wir müssen die Natur als Verbündete betrachten“, so Rockström, „denn nur mit ihr haben wir eine Chance“, die derzeitigen Krisen zu bewältigen und zum Beispiel den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen. Deshalb sei es von größter Bedeutung, so schnell wie möglich „nature-positive“ zu werden und naturfreundlich zu wirtschaften und zu leben.

Mann trägt etwas vor
Staatssekretär Jochen Flasbarth.

Auch BMZ-Staatssekretär Jochen Flasbarth verwies in seiner Rede darauf, dass sich die Menschheit an einem sehr kritischen Punkt befinde. Er betrachtete Klima und Biodiversität aus der politischen Sicht, nicht zuletzt im Hinblick auf die zwei bevorstehenden großen internationalen Konferenzen zu Klima im November und Biodiversität im Dezember. Zum Glück fänden solche Treffen nach der Corona-Pause nun wieder statt, sagte er, sie seien wichtig, um eine Aufbruchstimmung und ein Momentum zu erzeugen. Bei beiden Themen gehe es neben klaren Zielen nun auch sehr stark darum, das Geld für die notwendige Transformation aufzubringen. „Wir brauchen mehr intelligente Lösungen, wie wir den Privatsektor hier einbeziehen und wie wir Märkte für Klimaschutz und Biodiversitätserhalt schaffen können“, sagte Flasbarth. Öffentliche Haushalte stünden stark unter Druck; sie könnten die Mittel nicht allein aufbringen.

Frau unterhält sich
Christiane Laibach; KfW-Vorstand zuständig für internationale Finanzierungen.

KfW-Vorstandsmitglied Christiane Laibach verwies ebenfalls darauf, dass Klima und Biodiversität nicht länger isoliert betrachtet und behandelt werden dürften. Anders als der Klimawandel sei der Naturverlust auf der internationalen Agenda noch nicht sehr weit oben angesiedelt und auch in der Finanzwirtschaft noch nicht entsprechend verankert. Hier gebe es großen Nachholbedarf. „Je länger wir warten, desto teurer wird es“, sagte sie.

Fünf Personen sitze auf einer Bühne
Internationales Panel mit Sylvie Goulard (2. von links), Joan Carling, Christoph Schenck und Christiane Laibach (ganz rechts).

Handeln jetzt!

Zu den rund 240 internationalen Gästen aus Politik, Bankenwelt, Wissenschaft und NGOs gehörten zum Beispiel auch die stellvertretende Zentralbankpräsidentin Frankreichs, Sylvie Goulard, die Direktorin von „Indigenous Peoples Rights International“, Joan Carling, sowie der Gewinner des diesjährigen Deutschen Umweltpreises, der Direktor der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft, Christoph Schenck. Auch wenn die Gäste im Einzelnen unterschiedliche Meinungen vertraten, waren sie sich über einige Punkte im Wesentlichen einig:

  • Ohne Naturerhalt ist der Klimawandel nicht zu beherrschen.
  • Dass beide Themen unauflöslich zusammengehören, ist noch nicht ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen.
  • Biodiversität hat, anders als Klima, noch kein Etikett, keine Maßzahl. Sie gilt es zu entwickeln. Denn diese Krise ist mindestens so gravierend wie der Klimawandel.
  • Es braucht deutlich mehr Mittel für Klima und Biodiversität; dafür ist die Beteiligung des Privatsektors über innovative Finanzinstrumente unabdingbar.
  • Naturerhalt und Klimaschutz müssen sich im Marktgeschehen widerspiegeln, externe Kosten eingepreist werden. Dafür braucht es Konzepte und Systeme.
  • Das „Mainstreaming“ gerade von Biodiversität muss rasch vorangetrieben werden.
Drei Personen auf der Bühne
Immer wieder verschiedene Gesprächsrunden mit Gästen aus aller Welt.

Einmütigkeit herrschte auch bei der Einschätzung, die Lage sei ernst, die Zeit dränge sehr; die Phase der Absichtserklärungen sei vorbei. Beim Klimawandel, so die verschiedentlich geäußerte Ansicht, habe man fast drei Jahrzehnte gebraucht, um substantiell voranzukommen. So viel Zeit bleibe nicht, um klare Ziele und konkrete Maßnahmen für den Schutz von Biodiversität zu formulieren und auf den Weg zu bringen. „Deshalb lautet meine wichtigste Botschaft“, sagte Sylvie Goulard stellvertretend für diverse Rednerinnen und Redner: „Wir müssen handeln - jetzt.“