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Meldung vom 24.02.2023 / KfW Entwicklungsbank

Die Zusagen haben sich gegenüber der Vorkriegszeit verdoppelt

Ein Jahr nach Kriegsbeginn: Der KfW-Büroleiter Kurt Strasser über die Unterstützung für die Ukraine

Ukrainische Flagge

Herr Strasser, Sie sind und waren Büroleiter der KfW in Kiew. Jetzt arbeiten Sie von Deutschland aus. Wissen Sie noch, wo Sie sich am 24. Februar 2022 aufgehalten haben, als der russische Angriffskrieg begann?

Natürlich, ich war zu diesem Zeitpunkt auf Urlaub in meiner Heimat Österreich und habe es dort morgens in den Nachrichten im Radio und Fernsehen gehört.

Hatten Sie mit dieser Invasion gerechnet?

Nicht in diesem Ausmaß. Eine baldige Invasion der Russen im Südosten erschien möglich, um eine Landbrücke zur Krim zu schaffen, die Russland ja bereits 2014 besetzt hatte. Deswegen hatten wir mit dem nationalen Personal auch bereits Evakuierungspläne durchgespielt. Aber einen Angriff auf das ganze Land hielten auch Militärexperten für unwahrscheinlich, auch weil der russische Aufmarsch und die Truppenstärke nicht ausreichend erschienen, um ein Land wie die Ukraine, das doppelt so groß ist wie Deutschland, zu kontrollieren.

Wie haben Sie dann weiter gehandelt?

Ich habe natürlich sofort Kontakt mit dem Team im Büro Kiew und der KfW in Frankfurt aufgenommen. Gleichzeitig traf ein Hagel von Emails, Nachrichten und Aufrufen auf meinem Handy ein. Wir mussten schnell handeln, und die Evakuierung sofort einleiten. Die Mitarbeiter haben ihre Standorte innerhalb weniger Tage in sichere Regionen des Landes verlagert oder reisten über unterschiedliche Routen nach Deutschland aus. Unser Büro in Kiew wurde vor Ort geschlossen, unsere Arbeitsfähigkeit aber blieb im vollen Umfang erhalten.

Was waren die Schwerpunkte der Zusammenarbeit der KfW mit der Ukraine vor dem Angriffskrieg?

Wir haben vor allem im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) Vorhaben im Bereich Energieversorgung, kommunale Infrastruktur und nachhaltige Wirtschaftsförderung umgesetzt. Es ging unter anderem darum, Gebäude energieeffizienter zu machen, darum eine die Stromübertragung zu verbessern und ihre Integration in den europäischen Strommarkt vorzubereiten. Wir haben den Bau von Wohnraum für Binnenvertriebene unterstützt, eine verbesserte Wasserversorgung oder auch die Errichtung und die Rehabilitation von Kindergärten. Bei der nachhaltigen Wirtschaftsförderung stand die Unterstützung des Mittelstandes und die Berufsbildung im Vordergrund. Der Fokus lag dabei auf der schon vor dem russischen Angriff vom Konflikt besonders betroffenen Ostukraine.

Welche Projekte waren und sind durch den Krieg unmittelbar betroffen?

Nach den Vorgaben der Bundesregierung und auch der Europäischen Union lag der Fokus unsere Aktivitäten, wie gesagt, im fragilen Osten des Landes. Dort sollten die Lebensbedingungen vor allem verbessert werden und die genannten zahlreiche Projekte beim Wohnraum für Vertriebene, der Kinderbetreuung und der Wasser- und Energieversorgung waren dort geplant, umgesetzt oder abgeschlossen. Diese im Osten gelegenen Projekte waren sofort, direkt und unmittelbar betroffen. Wir wussten zunächst noch nicht einmal, wo sich unsere Partner und Kontaktpersonen aufhielten.

Später waren die von der KfW geförderter Projekte im Bereich der Energie- und Wasserversorgung im ganzen Land betroffen, weil die russische Armee immer stärker die zivile Infrastruktur attackierte und bombardierte, damit die Menschen keinen Strom und Wasser haben und nicht heizen können – der kalte Winter sollte das Land in die Knie zwingen.

Kurt Strasser im botanischen Garten in Kiew
Kurt Strasser im botanischen Garten in Kiew

Wie haben Sie auf diese Zerstörung reagiert?

Zum Zeitpunkt des russischen Angriffs musste ein Teil der Programme gestoppt werden, weil die Vorhaben jetzt in den von Russen besetzten Gebieten liegen. Wir steuern jetzt mit Zustimmung der zuständigen Geber um, und versuchen die Mittel dort einzusetzen, wo sie in der Krise jetzt besonders von der Ukraine gebraucht werden.

Was wird denn jetzt in Ukraine besonders gebraucht und wo hilft die KfW?

In dieser Krise ist es besonders wichtig, die Menschen mit den lebensnotwendigen Gütern zu versorgen, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die KfW setzt selbst keine Humanitäre Hilfe um, aber wir konnten anders helfen, durch Unterkünfte für die Vertriebenen, mit der Versorgung von Energie, der Wasserversorgung und der Unterstützung von Transferleistungen des Staates. Weiter unterstützen wir auch die finanzielle Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, um die Wirtschaft zu stärken und die Beschäftigung und Einkommen zu fördern. Durch den Krieg und die anhaltenden Kämpfe ist das natürlich schwieriger geworden, aber wir versuchen immer wieder zeitnah und aktuell auf die sich ändernde Lage zu reagieren.

Tatsächlich bleibt die Situation fragil und unvorhersehbar. Wie ist in dieser Lage eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit, die das Ziel der KfW ist, möglich?

Anders als in manch anderen fragilen Kontexten haben wir es in der Ukraine mit einem funktionierenden Staat zu tun. Es gibt die zuständigen Ministerien, zentrale Behörden und Institutionen. Wir haben weiter verlässliche Gegenüber, wir können mit leistungsfähigen Umsetzungspartner kooperieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb unterstützt die KfW die Ukraine aktuell auch dabei, die Funktionsfähigkeit des Staates zu erhalten, etwa durch die Finanzierung von Gehältern von Staatsbediensteten. Die Steuereinnahmen des Landes sind gegenüber der Zeit vor dem Krieg um fast 50 % gefallen.

Die genannten Programme bei der Versorgung mit Wasser, Wohnraum, Energie und medizinischer Versorgung laufen weiter und werden der jeweiligen dynamischen Situation angepasst. Die Zusagen der KfW haben sich gegenüber der Vorkriegszeit fast verdoppelt: Wir setzen derzeit für die Bundesregierung und die EU 34 Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von über 1,2 Mrd. Euro um und kooperieren dabei mit zahlreichen Partnern, wie den Kommunen, Regionalentwicklungsinstitutionen, Banken und Stiftungen wie auch internationalen Organisationen wie Unicef oder dem International Office for Migration, die ihrerseits sehr viel Erfahrung mit der Arbeit in konfliktbelasteten Regionen und Ländern haben.

Die KfW trägt den Wiederaufbau wegen ihrer Rolle in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bereits in ihrem Namen. Welche Aufgabe könnte die Bank in diesem Zusammenhang in der Ukraine übernehmen?

Wir setzen uns bereits jetzt eingehend mit Ansätzen und Möglichkeiten des Wiederaufbaus auseinander. Aber in dem Land herrscht natürlich immer noch Krieg. Eine langfristige Planung ist derzeit noch nicht möglich, weil der Verlauf des Konfliktes nicht vorhergesehen werden kann. Letztlich entscheidet die Bundesregierung auf welche Art und wann mit Wiederaufbauaktivitäten begonnen werden kann. Vor dem Hintergrund ihrer Geschichte wird die KfW dabei sicher eine bedeutende Rolle spielen. Ich möchte noch betonen, dass wie auch immer sich die Rolle der KfW in der Stabilisierung und dem Wiederaufbau entwickeln wird, die zuständigen Teams in Frankfurt und in der Ukraine mit allen Kräften ihr Möglichstes tun, das Land und seine Bevölkerung in dieser schweren Zeit bestmöglich zu unterstützen und Perspektiven für die Zukunft zu geben.

Das Interview führte Michael Ruffert.