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Meldung vom 18.10.2022 / KfW Entwicklungsbank

Die Hungerkrise wird zur Katastrophe

Welthungerhilfe, Concern Worldwide und KfW präsentieren den Welthungerindex: Alarmierende Entwicklung

Zwei Hände halten eine Kartoffel
Kostbares Gut Kartoffel: Jeder 10. Mensch auf der Welt hat nicht genug zu essen.

Der Klimawandel, COVID-19 und die steigende Anzahl von Konflikten führen zu einer alarmierenden Zahl an Hungernden weltweit. Preise für Nahrungsmittel sind insbesondere durch den Krieg in der Ukraine stark gestiegen. Die Bedeutung von lokalen Ernährungssystemen zur Bekämpfung von Hunger stand im Fokus der Online-Konferenz, bei der die KfW am 13. Oktober gemeinsam mit der Welthungerhilfe und Concern Worldwide die neue Ausgabe des Berichts zum Welthungerindex (WHI) präsentierte.

„In Kenia kochen Mütter Steine, um ihren Kindern die Hoffnung zu geben, dass sie Essen zubereiten“, führte Keynote-Sprecherin Elizabeth Kimani-Murage vom African Population and Health Research Centre (APHRC) in Nairobi in die Präsentation des WHI 2022 ein. Die Corona-Pandemie hat viele Familien nicht nur in Kenia in Not gestürzt. Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe (WHH), begrüßte die über 600 Gäste, die sich online zugeschaltet hatten, um die Ergebnisse des bereits 17. Welthungerindexes zu erfahren. Der Bericht zeigt, dass vor allem in Südasien und Subsahara-Afrika Hunger und Unterernährung weit verbreitet sind. Während in Südasien in absoluten Zahlen besonders viele Menschen Hunger leiden und die Ernährungssituation von Kindern besonders kritisch ist, liegen in Subsahara-Afrika der Anteil an Hungernden und die Kindersterblichkeitsrate sehr hoch.

Die Situation ist schlecht und wird schlechter: 828 Mio. Menschen hatten 2021 nicht genügend zu essen, wie die Daten des WHI zeigen. Die bisherigen Fortschritte im Kampf gegen Hunger gehen verloren, denn der Anteil der Menschen, die an Hunger leiden, liegt mit knapp 10 % auf dem Niveau von 2009. Dabei sind die Zahlen bei der Präsentation des Berichts bereits überholt, denn durch den Krieg in der Ukraine werden die Preise für Lebensmittel 2022 noch weiter steigen.

Kinder sitzen am Tisch und essen
Eine ausgewogene und ausreichende Ernährung ist insbesondere für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern enorm wichtig.

Gerechtere Ernährungssysteme

„Aus der Krise wird eine Katastrophe“, warnte Connell Foley. Der Director of Strategy, Advocacy and Learning von Concern Worldwide fasste die Ergebnisse des diesjährigen Berichts zusammen. In den fünf Ländern Zentralafrikanische Republik (ZAR), Tschad, D.R. Kongo, Madagaskar und Jemen ist die Lage „sehr ernst“ und in weiteren vier Ländern, nämlich Burundi, Somalia, Südsudan und Syrien, wird die Lage ebenfalls als „sehr ernst“ eingestuft, obwohl hier keine ausreichenden Daten vorliegen. Die Aussichten sind besorgniserregend: Wenn sich der Trend nicht ändert, wird die Weltgemeinschaft ihr Ziel von Null Hunger bis zum Jahr 2030 nicht verwirklichen (Sustainable Development Goal 2). 46 Länder werden bis dahin noch nicht einmal ein niedriges Hungerniveau erreichen.

„Wir müssen jetzt etwas tun, um die Probleme abzufedern“, mahnte Barbara Schnell, Abteilungsleiterin Sektorpolitik der KfW. „Es sind jedoch langfristige Perspektiven nötig, um das gesamte Ernährungssystem gerechter sowie nachhaltiger zu gestalten und das Recht auf Nahrung für jeden Menschen zu verwirklichen.“ Als kurzfristige Reaktion unterstützt die KfW über die Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger mit knapp 120 Mio. EUR insbesondere Partnerländer, in denen die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine besonders stark sind. Cash Transfers (Bargeldzahlungen) sind hier ein wichtiges Mittel, um den Zugang zu Nahrungsmitteln trotz gestiegener Lebensmittelpreise zu ermöglichen.

Gemüsegärten zur Nahrungsversorgung

In ihrem Eingangsstatement hatte Elizabeth Kimani-Murage nach dem schockierenden Bericht über die Notlage der Mütter in Kenia aufgezeigt, dass die lokalen Ernährungssysteme in ihrem Land während der Pandemie gestört waren. Die Lieferung von Nahrungsmitteln vom Land in die Städte war unterbrochen. Hinzu kommt die schwerste Dürre der letzten 40 Jahre, die in Kenia bereits seit drei Jahren andauert. Die leitende Forscherin am APHRC betonte, dass ihre Regierung inzwischen das Recht auf Nahrung in der kenianischen Verfassung verankert habe und Hilfe leiste. Doch das sei nicht genug: „Die Bürger müssen sich auch bewusst werden, dass sie ein Recht auf Nahrung haben und dieses einfordern.“ Angesichts der schweren Lage seien mehr Investitionen nötig, forderte Kimani-Murage. Sie berichtete aber auch von Initiativen, die Anlass zur Hoffnung geben. Die Anlage eines Gemüsegartens etwa könne darüber entscheiden, ob Mütter Steine kochen müssten oder Gemüse auf den Tisch bringen könnten. Jugendliche in städtischen Armutsvierteln engagierten sich inzwischen für die Produktion von Nahrungsmitteln vor Ort. „Die Veränderungen auf lokaler Ebene sind die wichtigsten“, sagte die kenianische Wissenschaftlerin.

Geernteter Reis in den Händen eines Reisbauern
Der eigene Anbau lokaler, dürreresistenter Gemüsearten könnte den Menschen in vielen Regionen bei dem Kampf gegen Hunger helfen.

Engagement auf lokaler Ebene

„Man hat begriffen, dass man etwas gegen den Hunger tun muss“, stellte Danielle Resnick in der folgenden Diskussionsrunde unter Moderation von Deutsche Welle-Journalistin Christine Mhundwa fest. Die Politikwissenschaftlerin vom Brookings Institution and International Food Policy Research Institute, einem Thinktank in Washington, erinnerte daran, dass sowohl beim G20-Gipfel als auch bei der kommenden Weltklimakonferenz COP 27 in Ägypten die weltweite Ernährungslage Thema sein werde. Doch internationale Anstrengungen könnten Initiativen auf lokaler Ebene nicht ersetzen, um Fortschritte vor Ort zu erreichen.

In Pakistan hat das Hochwasser die Bemühungen um eine gesicherte Ernährung zurückgeworfen. Aisha Jamshed, Landesdirektorin Pakistan der Welthungerhilfe, berichtete, dass Bauern und Bäuerinnen auch nach drei Monaten nicht auf ihre Felder zurückkehren könnten, weil die Flut noch nicht abgeflossen sei. Damit gehe die Ernte von diesem und dem kommenden Jahr verloren. Doch in Dörfern, in denen sich in Zusammenarbeit mit der WHH Gemeinderäte etabliert hatten, waren die Verluste durch das Hochwasser geringer, denn die Menschen waren informiert und besser vorbereitet.

Ernährung ist kein Privileg

Rawda Seman, Programmdirektorin von Concern Worldwide in Äthiopien, sagte, dass ihre Organisation langfristig angelegte Vorhaben zugunsten kurzfristiger Hilfe unterbrechen müsse. Um dies zu ermöglichen, müsse auch die Finanzierung der humanitären Hilfe flexibler angelegt werden. Außerdem wies sie auf Ansätze hin, die Ernährung in den Gemeinden zu sichern, indem das Saatgut lokaler, dürreresistenter Gemüsearten ausgegeben wird und die Menschen lernen, eigenes Saatgut zu gewinnen.

Auf den starken Preisanstieg für Brennstoffe, Dünger und Transporte wies Tendai Saidi vom Civil Society Agriculture Network (CISANET) in Malawi hin. In manchen Regionen ihres Landes habe sich der Preis für Grundnahrungsmittel wie Mais verdreifacht. Zwar stelle Malawi 10 % des Haushaltsbudgets für die Sicherung der Ernährung bereit, doch das sei nicht genug. Das auch von der KfW finanzierte Bargeldtransfer-Vorhaben für besonders arme Menschen bezeichnete sie als erfolgreich, es müsse jedoch durch Aufklärung ergänzt werden. Bedenklich sei der Trend, immer mehr verarbeitete Lebensmittel zu kaufen, anstatt Gemüse und Obst zu essen. „Ernährung ist kein Privileg“, fasste Saidi zusammen, „die Bürger müssen ihre Regierungen zur Rechenschaft ziehen, um das Recht auf Nahrung einzufordern.“