Meldung vom 19.10.2021 / KfW Entwicklungsbank

Rückschläge beim Kampf gegen Hunger

Welthungerhilfe, Concern Worldwide und KfW präsentieren den Welthungerindex: Fatale Trendumkehr

Jemand isst Reis mit der Hand aus einem Teller

Die Erfolge bei der Überwindung des Hungers stagnieren. Das Zusammenspiel von COVID 19, Klimawandel und gewaltsamen Konflikten beschleunigt eine Umkehr des bisherigen Trends. Dies zeigt der Welthungerindex (WHI), den die Welthungerhilfe mit Partnern seit 2006 jährlich erhebt. Am 14. Oktober wurde der Index bei einer gemeinsamen Onlinekonferenz von Welthungerhilfe, Concern Worldwide und KfW mit hochkarätigen Rednern vorgestellt. Diese waren sich einig: Eine gemeinsame Kraftanstrengung von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung ist notwendig, soll das Ziel „Kein Hunger“ bis 2030 doch noch erreicht werden.

„Wir wollen nicht nur Alarm schlagen, sondern auch Lösungen erarbeiten“, machte KfW-Abteilungsleiterin Barbara Schnell in ihrem Eingangsstatement klar. Weltweit hungern etwa 811 Millionen Menschen und 41 Millionen leben am Rande einer Hungersnot. In den vergangenen Jahrzehnten nahm die Anzahl der Hungernden stetig ab, dieser Trend verlangsamt sich jetzt bedrohlich.

Der Welthungerindex basiert auf vier Indikatoren, einer davon ist die Unterernährung. Diese nahm erstmals seit Jahrzehnten wieder zu – ein besorgniserregender Trendumschwung. „Dabei gibt es genug Lebensmittel für alle Menschen auf der Erde“, betonte Barbara Schnell. „Hunger ist ein lösbares Problem.“

Kleines Zeitfenster

„Wir werden dafür kämpfen, dass Hunger der Geschichte angehört, haben aber nur ein kleines Zeitfenster“, drängte Dominic MacSorley, Geschäftsführer der irischen Nichtregierungsorganisation Concern Worldwide. Seine Organisation erhebt seit 2007 gemeinsam mit der Welthungerhilfe den WHI. Botschafterin Geraldine Byrne Nason, ständige Vertreterin Irlands bei den Vereinten Nationen in New York, erinnerte an die Hungersnöte, die ihr Land vor 170 Jahren bedrohten und viele Menschen zur Auswanderung zwangen. Derzeit gehört Irland zu den fünf nicht-ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und setzt sich dort prioritär für den Kampf gegen Hunger ein.

Der Welthungerindex zeigt, dass 47 Länder das Ziel eines niedrigen Hungerniveaus voraussichtlich nicht erreichen werden, geschweige denn bis 2030 das UN-Entwicklungsziel „Kein Hunger“ (SDG 2). Vor allem in Afrika südlich der Sahara und in Südasien scheint die Überwindung des Hungers bis dahin aussichtslos.

Vorhandene Instrumente rigoros nutzen

„Uns fehlt der politische Wille, das Ziel „Zero Hunger“ wirklich umzusetzen“, kritisierte Botschafter Dr. Günter Sautter, der stellvertretende ständige Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. „Unsere Bemühungen müssen über die humanitäre Hilfe hinaus gehen und alles tun, um Konflikte und Ernährungsunsicherheit zu beenden.“ Als wichtiges Instrument dazu bezeichnete er die Resolution 2417 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2018, die den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe verurteilt. „Diese Instrumente müssen systematischer und rigoroser angewandt werden“, forderte Sautter. Der WHI zeige deutlich, wo anzusetzen sei.

Hunger kann gewaltsame Konflikte befeuern und Konflikte führen zu Hunger. „Wir müssen die Ernährungssituation verbessern, um Frieden zu schaffen, und andersherum“, mahnte Dan Smith, Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) und Gastautor des diesjährigen Berichts zum WHI. Auch die Zahl der gewaltsamen Konflikte ist nach jahrzehntelangem Rückgang wieder im Steigen begriffen. Nahm ihre Zahl zwischen 1995 und 2010 von etwa 50 auf 30 ab, verdoppelte sie sich seither nahezu wieder. Hinzu kommen noch die hier nicht mitgerechneten nicht-staatlichen Konflikte, deren Zahl noch stärker zunahm. Der Wissenschaftler forderte in einem eindringlichen Statement ein besseres Verständnis für die Zusammenhänge von Konflikten und Hunger: „Wir müssen aus unserem Silodenken herauskommen und unsere Komfortzone verlassen, um den Weltfrieden voranzubringen.“

Erfolgreiche Interventionen der UN

In der folgenden Expertenrunde unter Moderation von Deutsche Welle-Journalistin Christine Mhundwa lag der Fokus auf dem Entwurf möglicher Lösungen. Rebecca Vetharaniam Richards von der Policy Division des World Food Programme (WFP) der UN nannte die Ernährungsunsicherheit „ein Scheitern der Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen.“ Sie sah die Herausforderungen in fehlender Kohärenz zwischen lokalen und internationalen Anstrengungen sowie mangelndem politischen Willen. Richards führte jedoch auch Beispiele an, in denen die Weltgemeinschaft erfolgreich war im Kampf gegen Konflikte und Hunger. So wurden Auseinandersetzungen um die Wasserfrage in Tadschikistan entschärft, gemeinsame Bauernmärkte von Anwohnern und Flüchtlingen in Bangladesch aufgebaut und im Libanon ein System zum bargeldlosen Transfer von Sozialhilfe geschaffen. „Wir müssen das profunde Wissen von vor Ort nutzen“, sagte die WFP-Vertreterin.

Dr. Rami Zurayk von der Landwirtschaftsfakultät der amerikanischen Universität in Beirut lobte die herausragenden Leistungen des WFP, auch im Libanon. Er hinterfragte jedoch, ob Frieden zu schaffen ausreichend sei, wenn dadurch die Ungleichheiten zementiert würden, die zu den Spannungen geführt hatten. Er wies mit Blick auf Syrien, Irak und Jemen auf die Rolle internationaler Akteure bei der Entstehung gewaltsamer Konflikte hin.

„Toxischer Cocktail“

Amina Ibrahim Abdulla, Regionaldirektorin von Concern Worldwide für Ost-Afrika, beklagte sich über den mangelnden Zugang zu Menschen in den hungernden Regionen. Die humanitären Helfer könnten sich nicht sicher bewegen. Sie mahnte, dass Jugendliche, Frauen und Minderheiten einbezogen werden müssten, um Frieden zu schaffen. „Je inklusiver der Prozess, desto nachhaltiger die Lösung.“

Über die komplexen Probleme in seinem Land sprach Louis Dorviller, Landesdirektor der Welthungerhilfe für die D. R. Kongo. 41 % der Kinder unter fünf Jahren im Kongo leiden unter Wachstumsverzögerungen aufgrund von Nahrungsmangel. Nach 30 Jahren Krieg treffen das Land nun zusätzlich die Folgen der Corona-Pandemie und des Klimawandels, „ein toxischer Cocktail“, wie Dorviller sagte. Er forderte, Verantwortlichkeiten klar zu benennen und Straffreiheit zu beenden. „Resilienz bedeutet für uns, die Macht anders zu verteilen, um Gemeinschaften zu stärken und auf einen Frieden hinzuarbeiten.“

Der politische Wille ist entscheidend

Abschließend betonte Marlehn Thieme, Vorsitzende der Welthungerhilfe, dass die Zusammenarbeit von drei Akteursgruppen, nämlich der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedensförderung entscheidend sei, um die Ernährungssituation weltweit zu verbessern und das Ziel „kein Hunger“ doch noch zu erreichen. „Das Wichtigste ist ein mutiger politischer Wille“, sagte sie. In vielen Erklärungen habe sich die Politik entschlossen gezeigt, den Hunger zu bekämpfen. Dem müssten nun Taten folgen.