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Meldung vom 17.09.2020 / KfW Entwicklungsbank

Libanon zwischen Explosion, Pandemie und Wirtschaftskrise

Blick über die Hochhäuser der Stadt Beirut auf die große dunkle Explosionswolke.
Der Blick über Beirut lässt die verheerenden Auswirkungen der Explosion bereits erahnen.

Der 4. August veränderte noch einmal alles. Schon vor der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut war die Situation für die Menschen im Libanon nicht gerade einfach, berichtet Büroleiter Sascha Stadtler. Seit zwei Jahren lebt und arbeitet er inzwischen für die KfW in der Küstenstadt im Nahen Osten, schwärmt von Land und Leuten. „Ich wollte schon immer einmal für einen längeren Zeitraum im Libanon leben und arbeiten.“ erzählt er via Skype, während im Hintergrund seine Kaffeemaschine rappelt. Viel mehr konnte er aus seiner Wohnung auch nicht mitnehmen. Genauso wie bei seinen Kollegen vor Ort ist auch seine Wohnung vorübergehend nicht mehr bewohnbar. „Zum Glück sind alle unverletzt und noch in der Unglücksnacht bei Freunden oder Verwandten außerhalb der Stadt untergekommen.“ Er selber war in seiner Wohnung, als die 2.750 Tonnen Ammoniumsulfat durch ein Feuer im Hafen explodierten und er plötzlich die Glasfront seines Appartements auf sich zurasen sah. Auf der Straße spielten sich apokalyptische Szenen ab, doch das wahre Ausmaß zeigte sich erst später: Rund 300.000 Wohnungen in Kern-Beirut sind zerstört, ganze Stadtviertel wie Gemmayzeh oder Mar Mikhael sind de facto unbewohnbar. „Die Menschen hier vergleichen das Unglück mit dem 15jährigen Bürgerkrieg und sind einhellig der Auffassung, dass sie so etwas noch nie erlebt hätten.“

Die Explosion trifft ein geschwächtes Land, das bereits vorher durch mannigfaltige Krisen betroffen war, ins Mark.

Gerade erst glaubte die libanesische Bevölkerung beispielsweise, die Corona-Krise im Griff zu haben. Bereits im März wurden die ersten Lockdownmaßnahmen verhängt, sodass die Neuinfektionen bis Juli bei Null angekommen waren. Jetzt sind fünf der zwölf Beiruter Krankenhäuser vollständig zerstört, und die übrigen arbeiteten bereits vor dem Unglück an ihren Kapazitätsgrenzen. Seit der Explosion verbreitet sich das Virus wieder nahezu unkontrolliert, steigen die Zahlen und werden täglich neue Höchststände verkündet. Die Menschen haben derzeit andere Probleme als Social Distancing oder Schutzmasken. Inzwischen rollen die Soforthilfen der Internationalen Gemeinschaft an, die sofort mit Hilfszusagen von bislang 250 Mio. EUR und umfassender Soforthilfe, insbesondere im medizinischen Bereich, reagierten.

Doch der bis dato erfolgreiche Kampf gegen COVID-19 hatte seinen Preis, dessen Folgen durch das Unglück nun noch potenziert werden. Drückte zuvor schon die enorme Staatsverschuldung von über 160 % des Bruttoinlandsproduktes, brauten sich verschleppte Reformen, Korruption und anhaltend hohe Defizite in Haushalt und Leistungsbilanz spätestens im Herbst letzten Jahres zu einer massiven Wirtschafts- und Finanzkrise zusammen. Die Banken – einst der Stolz des Landes - gerieten ins Trudeln, Dollars wurden knapp, der fiskalische Handlungsspielraum der Regierung wurde immer enger. Immer größere Teile der bisherigen Mittelschicht rutschten in die Armut ab, so dass die Armutsrate auf inzwischen über 50 % emporschnellte. Massive Proteste gegen das Staatssystem und die herrschenden Eliten hatten bereits im Herbst letzten Jahres weite Teile der Bevölkerung mobilisiert. Zur Eindämmung des Coronavirus folgte im Frühjahr der Lockdown, welcher die Proteste stiller werden ließ, die Wirtschaft aber weiter schwächte und insbesondere tausende Kleinunternehmer in den Bankrott trieb. Seit der Explosion ist auch die politische Instabilität wieder da - und das stärker als zuvor.

Gleichzeitig rückt aber auch die Bevölkerung wieder enger zusammen. Freiwillige aus dem ganzen Land haben unmittelbar nach dem Unglück mit den Aufbauarbeiten begonnen - in Eigenregie, ohne Unterstützung durch staatliche oder städtische Behörden.

Viele Menschen helfen beim Aufräumen der Trümmer durch die Explosion in Beirut.
Viele Freiwillige helfen bei den Aufbauarbeiten nach dem Unglück.

Die im Auftrag des Bundes agierende KfW hat ihr bereits breit aufgestelltes Engagement im Libanon ebenfalls weiter verstärkt – sei es durch Aufstockung laufender Programme oder Umschichtungen. Seit 2020 gehört der Libanon zudem zu den ausgewählten Partnerländern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), mit denen langfristige Entwicklungsziele verfolgt werden. Die deutsche Unterstützung soll zur Stabilisierung und Konfliktprävention sowie zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Aktuell haben insbesondere die arbeitsintensiven Infrastrukturmaßnahmen, welche zusammen mit Bildungsprojekten einen Großteil des über eine halbe Milliarde Euro umfassenden laufenden Portfolios abbilden, Priorität. Ziel ist es, die Menschen schnell wieder in Lohn und Brot zu bringen und gleichzeitig zum Wiederaufbau beizutragen. Dabei setzt die KfW auf die positive Erfahrung aus ähnlichen Programmen, die sie seit Jahren in ärmeren Regionen des Landes sehr erfolgreich umgesetzt hat und die nun auf Beirut ausgeweitet werden, beziehungsweise in Teilen bereits angelaufen sind. Die FZ im Libanon wird größtenteils über UN-Organisationen und internationale NROs umgesetzt.

Nachdem es in der Vergangenheit bereits zu Spannungen und wachsenden Verteilungskämpfen zwischen armen Libanesen und Geflüchteten aus Syrien kam, besteht hier zudem die Herausforderung darin, beide Gruppen gleichermaßen zu berücksichtigen. Denn neben den eigenen Problemen hat das arme Land bei einer Bevölkerung von ca. 4,5 Mio. Menschen seit 2011 über eine Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen, was zu einer weiteren Belastung der ohnehin maroden Infrastruktur führte.

Aber hier gibt es inzwischen auch positive Nachrichten. Nach ersten Untersuchungen ist die essentielle Basisinfrastruktur in der Stadt weniger stark beschädigt als befürchtet. Die wichtige Trinkwasserversorgung läuft bereits wieder, und auch die Basisgesundheitsversorgung ist derzeit sichergestellt. Der Ausfall der Krankenhäuser wird dabei durch die zahlreichen von der Staatengemeinschaft bereitgestellten mobilen Krankenstationen zumindest teilweise aufgefangen, jedoch sind speziellere Medikamente nach wie vor nicht oder kaum verfügbar.

Selfie von Leonard Dlubatz (KfW Beirut) mit Cash for Work Arbeitern.
Cash for Work Arbeiter des KfW-finanzierten Employment Intensive Infrastructure Programme (EIIP) waren bereits drei Tage nach der Explosion in Beirut, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen.

Auch aus dem zerstörten Hafen gibt es eine Teilentwarnung. Das für die Grundversorgung so wichtige Containerterminal ist weniger stark beschädigt als befürchtet. Da der Libanon 85 % aller Nahrungsmittel importiert und über den Hafen Beirut abwickelt, waren Versorgungsengpässe befürchtet worden.

Was aber derzeit weiterhin dringend benötigt wird, so Stadtler, sind Experten zur Schadensmittelräumung und Statiker. Weiterhin fehlen medizinische Güter und andere Sofortmaßnahmen und viel Geld. Geld zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt.