Meldung vom 06.03.2020 / KfW Entwicklungsbank

„Nichts passiert automatisch“

Arlina Elmiger, KfW-Abteilungsleiterin und Vera Hartmann, Junior-Projektmanagerin für Bildung und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung in Nordafrika, über die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Zwei Mädchen in der Schule.
Mädchen mehr Chancen auf Bildung zu eröffnen, ist ein wichtiger Schritt zur nachhaltigen Entwicklung.

Der Internationale Weltfrauentag wird seit 1921 am 8. März gefeiert und erinnert seitdem an den Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Seit 1977 ist der 8. März weltweit als Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden institutionalisiert, und seit 2019 ist der Frauentag ein gesetzlicher Feiertag in Berlin. In den fast 100 Jahren konnten erhebliche Fortschritte in der Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht werden. Welche Themen stehen in den kommenden Jahren im Vordergrund?

Elmiger:Ich glaube, dass wir viele Fortschritte im Bereich der Gesundheits- und Bildungsgleichstellung erzielt haben. Das zeigt auch der Gender Parity Index, der an bestimmten Kriterien festmacht, woran man eigentlich Gender-Gleichstellung messen kann. Wo es Schwierigkeiten gibt, und das wirklich weltweit, ist die wirtschaftliche Teilhabe. Und zwar nicht nur die Frage nach der Berufstätigkeit, sondern auch das Thema „equal pay“. Da schneidet auch Deutschland relativ schlecht ab. Daneben geht es aber auch um die Frage der Chancengleichheit und den Anteil von Frauen in Führungspositionen. Heißt: Frauen nehmen nicht nur am beruflichen Leben teil und verdienen gut, sondern sind auch in Management-Positionen angekommen, und zwar nicht nur zu 30 %, sondern 50 %. Wenn 50 % der Bevölkerung Deutschlands Frauen sind und auch gerade hier eine sehr hohe Bildungsquote bei Frauen vorherrscht, ist eigentlich nicht einzusehen, warum es eine Quote von 30 % auf Management-Ebene geben soll, die müsste eigentlich auch bei 50 % liegen.

Das andere sind Fragen der politischen Teilhabe bzw. der Repräsentation von Frauen in Parlamenten oder auf Minister-Ebene. Und auch wenn wir eine Kanzlerin haben, hinkt Deutschland hier über viele Jahre auch im Vergleich zu manch anderen Ländern hinterher - zum Beispiel Ruanda. Das liegt im Gender Parity Index mit Platz 9 vor Deutschland (Platz 10)! Die Beteiligungsquote von Frauen im Parlament beträgt dort 50 %. Ich glaube, in all diesen Bereichen haben wir noch eine Menge zu tun - neben dem privaten Teil, den wir in unseren eigenen Händen haben, wo wir aber auch viele Rollenmodelle brauchen, um zu zeigen, was echte Gleichberechtigung eigentlich bedeutet.

Hartmann: Ich glaube, dieser Bereich ist unglaublich wichtig, um Zugangsmöglichkeiten zu eröffnen, um gleiche Startvoraussetzungen für Frauen zu schaffen und in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen Wege zu öffnen, die bisher verschlossen waren. Eine andere Seite, die wir schlechter beeinflussen können, ist die sozio-kulturelle Seite oder das mind-set, das eben auch dazu gehört und den ersten Bereich ergänzt. Und das kann nur passieren, indem immer mehr Frauen auch in Führungsrollen kommen und als kompetent und stark wahrgenommen werden. Und indem es als eine immer größere Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird, dass Frauen überall gleichberechtigt an der Gesellschaft partizipieren. Da ist schon ein Wandel spürbar, aber sicherlich ist auch gerade weltweit noch sehr viel zu tun, was die kulturelle Wahrnehmung der Frau oder ihre Rolle in der Familie angeht. Es geht also um Rollenvorbilder, an denen man sich im Privaten und Beruflichen orientieren kann.

Schauen wir auf die KfW. Im Jahr 2013 startete die Umsetzung des Gender-Balance-Konzepts der KfW. Darin verpflichtet sich die KfW, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu fördern, sowie unterschiedliche Arbeitsmodelle für Männer und Frauen gleichermaßen zu akzeptieren. Was hat sich aus Ihrer Sicht verändert, und was muss noch geschehen?

Elmiger: Wenn Sie 2013 als Entry nehmen, hat sich was getan, aber ich bin ja schon viel länger in der Bank. Als ich Ende 1997 hier anfing, war das eine viel grauere, männliche, sehr steife KfW. Wenn ich das mit der heutigen Situation vergleiche, liegen Welten dazwischen. Gefühlt hat sich eine Menge geändert - aber es bleibt auch noch eine Menge zu tun. Wir sind weit von dem entfernt, was wir eigentlich erreichen wollen. Aber es gibt seit einigen Jahren viele Programme und Angebote wie zum Beispiel „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, mit guten und wesentlichen Elemente bzw. Hilfestellungen. Ich nehme allerdings wahr, dass die tatsächliche Nutzung der zur Verfügung stehenden Instrumente oft von der Führungskraft abhängt. Ich glaube, wenn wir alle diese Instrumente stärker nutzen würden, wäre das schon mal ein „major push“.

Das ist das eine. Das andere sind die bereits genannten strukturellen oder kulturellen Barrieren. Und natürlich auch diese Fragen, die es bei Männern überhaupt nicht gibt, wenn man mit einem Kind erstmal ein bisschen zu Hause bleibt und dann wiederkommt: „Wie schaffst du das? Wie vereinbarst du das?“ So etwas werden nur Frauen gefragt, Männer hingegen äußerst selten. Auch da sollte klar gesagt werden, was akzeptiert man an Rollenbildern oder -modellen in Führungspositionen? Es gibt gute Modelle, aber bei der tatsächlichen Implementierung haben wir noch einiges vor uns.

Hartmann: Ich bin 2016 eingestiegen und Teil eines Trainee-Jahrgangs mit überwiegend Frauen. Ich habe eine weibliche Teamleitung und eine weibliche Abteilungsleitung. Ich muss sagen, dass ich die Entwicklungsbank nie als übermäßig männlich wahrgenommen habe. Mir ist natürlich klar, dass das nur ein Ausschnitt ist, aber aus einer Junior-Perspektive heraus kann ich sagen, dass ich hier noch nie auf Barrieren aufgrund meines Geschlechts gestoßen bin. Und mir ist gleichzeitig auch bewusst, dass die schwierigen Zeiten erst kommen werden: Wenn es um die Familienplanung und weitere Karriereentwicklung geht, wie die Entwicklungsbank dann damit umgeht, dass Gleichberechtigung für Männer und Frauen herrscht. Das ist der große Knackpunkt.

Interviewpartnerinnen
Interviewpartnerinnen Arlina Elmiger (li.) und Vera Hartmann.

Fast die Hälfte der Teamleiter in der KfW Entwicklungsbank ist weiblich. Auf den höheren Führungsebenen ist es weniger als ein Drittel. Liegt das Ihrer Meinung nach daran, dass weniger Frauen Ambitionen haben, weiter aufzusteigen?

Elmiger: Nein, das würde ich so nicht sagen. Zumindest ist es nicht ursächlich für diesen 70-%-Gap. Ambitionen sind auch in der männlichen Welt unterschiedlich gestreut. Ich glaube, viel liegt tatsächlich am Thema Vereinbarkeit, und zwar nicht nur von Beruf und Familie, sondern wirklich Karriere und Familie. Das ist ja dann der nächste Schritt. Und da spielen schon auch individuelle Entscheidungen eine wesentliche Rolle, z.B. bei der Partnerwahl: Hat man jemanden, der das mit trägt, mit unterstützt und mit ermöglicht? Mit dem man den Workload zu Hause gemeinschaftlich und partnerschaftlich teilt?

Das ist der private Teil. Aber es hat auch viel mit Vorbildern und Rollenmodellen zu tun: Was bedeutet Führung? Wie muss ich sein, wenn ich Abteilungsleiter oder Abteilungsleiterin bin? Was erwartet man von mir an Haltung, an Ausstrahlung, an Führungsprinzipien? Ich denke, dass auch das neue Kompetenzmodell Führung, das gerade implementiert wird und eine viel stärkere Team-Orientierung und mehr Coaching in den Vordergrund stellt, viele Frauen eher ansprechen wird, den Weg einer Führungskarriere einzuschlagen. Eine etwas andere Führungskultur kann ein wesentlicher Schritt in Richtung mehr Teilhabe von Frauen an Führungspositionen oberhalb der Teamleitung sein.

Frau Elmiger, wie hat sich die Situation der Frauen in Partnerländern im Laufe Ihrer Karriere in der Entwicklungszusammenarbeit verändert?

Auch da muss man unterscheiden, auf welcher Ebene man unterwegs ist. In etlichen Entwicklungsländern gibt es viele, sehr gut ausgebildete Frauen - meist aufgrund ihrer privilegierten Herkunft. Diese stellen dann auch sehr kompetente Projektpartnerinnen dar, auf administrativer Ebene, durchaus auch auf Ministerposten. Das gibt es heute deutlich häufiger als früher, abhängig von der Region. Insgesamt sieht man, dass sich Investitionen in Bildung und Gesundheit auszahlen und sich die Situation der Frauen dadurch wesentlich verbessert hat. Ruanda ist ein sehr gutes Beispiel, aber auch Äthiopien hat seit dem neuen Ministerpräsidenten viel investiert und deutliche Schritte gemacht beim Gender Parity Index.

Wenn man nur 1 Mio. EUR. für eine Fördermaßnahme zur Verfügung hätte, wäre die beste Einzelinvestition mit dem größten Entwicklungsimpact eine Investition in Bildung von Mädchen. Das ist ein Hebel für Gleichberechtigung und eine aktive Förderung von Frauen. Aber automatisch passiert leider gar nichts. Es braucht den politischen Willen, und es braucht Instrumente, um das umzusetzen, sowie strukturierte Investitionen in die richtigen Sektoren und Bereiche. Ich nehme wahr, dass sich diesbezüglich etwas bewegt, aber man darf nicht verhehlen, dass die Situation von Frauen an vielen Orten und in vielen Bereichen immer noch sehr schlecht ist. Gleichzeitig finde ich es erfrischend zu sehen, dass Ruanda vor Deutschland liegt, was die Geschlechtergleichstellung anbelangt.

Ein Mädchen steht mit ihrer Lehrerin an der Tafel und schreibt etwas.
Wenn Mädchen aktiv gefördert werden und eine Schule besuchen können, ist das ein entscheidender Hebel für Gleichberechtigung.

Welche Herausforderungen gibt es für Frauen im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit?

Elmiger: Noch viel stärker als bei uns ist es die Tatsache, für den Haushalt ganz allein verantwortlich zu sein. Hier wird es zwar nicht immer so gelebt, aber man hat zumindest den Anspruch, sich das zu teilen. Das ist in vielen Entwicklungsländern nicht der Fall – auch in Ruanda nicht. Die Verantwortung für die Familie trägt komplett die Frau, und deswegen ist diese Doppelrolle als Versorgerin von Kindern und Haus und Erwerbstätige oftmals ein großes Problem. Entwicklungsländer haben oft große Fortschritte in puncto Grundbildung gemacht, aber bei der Sekundar- oder Tertiär-Bildung ist der Frauenanteil immer noch gering. Das hängt auch mit dem gängigen Rollenmodell zusammen: Man heiratet und spätestens dann will der Mann nicht mehr, dass man die nächsten Bildungsschritte macht. Und selbst, wenn Frauen ihr eigenes Geld verdienen, können sie das oftmals nur zu Teilen selbstbestimmt ausgeben.

Gab es mal eine Situation, zum Beispiel auf einer Dienstreise, wo Sie eindeutig aufgrund Ihres Geschlechts vom Partner anders behandelt wurden, also entweder benachteiligt oder auch bevorzugt?

Elmiger: Nein, bisher noch nicht. In arabischen Ländern wird einem oft nicht die Hand gegeben. Das ist aber kulturell so angelegt und kein Gender-Thema.

Frau Hartmann, haben Sie gender-spezifische Erfahrungen gemacht?

Gemischt. Ich war überrascht, wie höflich man von den Partnern aufgenommen wird, obwohl man gerade in der arabischen Welt - sowohl jung als auch weiblich - klassischerweise jemand ist, der nichts zu sagen hat. Das ist als „Head of KfW delegation“ anders, da wird einem zugehört und man kann einen Dialog auf Augenhöhe führen. Schwieriger wird es tatsächlich bei Ereignissen wie Baustellenbesuchen in Oberägypten, wo man von der Dorfbevölkerung erstmal intuitiv nicht als Leitende der Delegation wahrgenommen wird. Und gerade, wenn man dann mit männlichen Sachverständigen reist, muss man sich immer wieder vordrängeln, um mit den Bauunternehmern sprechen zu können. Intuitiv wird man ausgeblendet, oder man wird zu den Lehrerinnen geschickt, was aber auch von Vorteil sein kann. Ich glaube, man hat als Frau manchmal auch einen ganz anderen, näheren Zugang zur Zielgruppe. Frauen führen mich z.B. zu den Toiletten und zeigen mir, dass die Toilettentüren nicht schließen. Das sind Dinge, auf die der Bauunternehmer nicht kommt. Das kann man also auch nutzen, während es auf der anderen Seite ein gewisses Standing erfordert, dem Bauunternehmer klipp und klar zu sagen, dass er verspätet ist und jetzt Maßnahmen ergreifen muss. Das nimmt er von einer jungen Frau anders wahr als von einem gestandenen Architekten.

Elmiger: Aber das mit der Nähe finde ich spannend, weil ich mich gerade frage, ob das bei Männern ähnlich wäre. Es gibt ja tatsächlich diese Situation, wo man eine besondere Nähe zu Frauen herstellt und dann plötzlich mit ihnen unter dem Baum diskutiert, wie Verhütung funktioniert - so eine intime und offene Beziehung hätte es mit einem Mann als Delegationsleiter vermutlich nicht gegeben. Das würde ich definitiv als Vorteil sehen.

Hartmann: Gleichzeitig muss ich auch sagen, dass der Hintergrund, den wir als Entwicklungsbank mitbringen, eine Rolle spielt und von Vorteil sein kann. Wenn ich z.B. für eine Ingenieur-Firma dort wäre und meinem Partner etwas verkaufen müsste, könnte ich mir vorstellen, dass ich als Frau einen deutlich schwereren Stand hätte. Das liegt vielleicht aber auch daran, dass in den Ländern, in denen ich aktiv bin, Frauen im Bereich Bauwirtschaft und Ingenieurwesen weniger präsent sind.

Ihr Ausblick für die Gender-Gleichstellung?

Elmiger: Es ist viel erreicht worden, aber wir haben noch viel vor uns, und das wird Generationen dauern. Was mich wirklich entsetzt: Ich habe gelesen, wenn wir in dem Tempo weitermachen wie bisher, haben wir „gender parity“ in 99 Jahren erreicht! Das ist doch erschreckend! Viele Männer haben ja ein bisschen die Sorge, dass es nun aufgrund irgendwelcher Quoten keine Positionen mehr für Männer gäbe und nur noch Frauen befördert würden. Auch dazu hab ich gelesen: Wenn Deutschland in dem Tempo weitermacht, werden wir im Jahr 2040 ein Drittel der Positionen auf Vorstandsebene mit Frauen besetzt haben! Da ist noch ein weiter, weiter Weg zu gehen. Und nichts passiert automatisch – das, was wir erreicht haben, ist mühsam erkämpft.

Hartmann: Vielleicht noch ein abschließender Gedanke zur EZ: Oft tendiert man dazu, nur nach den Zahlen zu schauen - wie viele Mädchen gehen auf die Schule, die wir fördern, wie viele Schulen dieser Art fördern wir, etc.. Man muss auch hinter die Zahlen schauen, nach den Möglichkeiten, den Rahmenbedingungen, den kulturellen Umständen, die letztlich darüber entscheiden, ob Frauen die Angebote auch wirklich wahrnehmen können. Da spielen ganz winzige Faktoren eine Rolle wie z.B. die Länge des Schulwegs, Eltern, die sagen: „Ich will meine Tochter nicht so weit schicken. Es ist gefährlich für sie.“ Und in bestimmten Kontexten oder Regionen kann es auch wirklich gefährlich für sie sein. Um das herauszufinden, muss man mit den Menschen sprechen. Was hindert Frauen oder Mädchen wirklich daran, das Angebot der bereitgestellten Infrastruktur wahrzunehmen? Ich denke, das ist die Gender-Orientierung in der EZ, die man braucht.

Elmiger: Genau. Es sind oft so Kleinigkeiten wie die „Monatshygiene“, die an manchen Schulen nicht verfügbar ist, weshalb die Mädchen einfach in der Zeit zu Hause bleiben. Das ist ein Viertel der Schulzeit! Wenn man genauer hinschaut, was die Mädchen wirklich daran hindert, zur Schule zu gehen, macht es die Maßnahmen natürlich viel komplexer, aber wahrscheinlich auch sehr viel wirkungsvoller.

Hartmann: Vielleicht fördert man dann nicht die Schule, die einen ganz tollen Mädchenanteil hat, sondern die Schule, die sich um funktionierende sanitäre Einrichtungen kümmert. Es kann eine Maßnahme durchaus verändern, wenn man hinter die Zahlen schaut.