Meldung vom 16.01.2020 / KfW Entwicklungsbank

„Wir brauchen noch mehr Anstrengungen, um den Hunger zu beenden“

Barbara Schnell, KfW-Abteilungsleiterin, und Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, über die Chancen, das Ziel „Zero Hunger“ zu erreichen.

Afrikanische Kinder, die in eine große Schüssel mit Kakaobohnen greifen. Einige sehen glücklich in die Kamera.
Frau Schnell, das Schlagwort für das SDG 2 lautet „Zero Hunger“. Im Jahr 2030 soll der Hunger auf der Welt besiegt sein. Heute gibt es noch rund 820 Millionen hungernde und rund zwei Milliarden mangelernährte Menschen. Ist das Ziel realistisch?

Schnell: Das Ziel ist sehr ambitioniert. Die Zahl der hungernden Menschen ist seit 2015, dem Jahr, in dem die SDGs verabschiedet wurden, wieder um fast 40 Millionen Menschen gestiegen. Sie lag 2015 noch bei rund 785 Millionen Menschen. Die Gründe sind in erster Linie Kriege, Krisen und der Klimawandel.

Von dem erneuten Anstieg sind besonders die afrikanischen Länder betroffen. Auch die Zahl der mangelernährten Menschen stagniert seit Jahren. Um den Hunger wirklich zu beseitigen, wird es eine immense Anstrengung der Weltgemeinschaft brauchen.

Wie sehen Sie das, Herr Mogge?

Mogge: Es ist wichtig an diesem Ziel festzuhalten und es mit Nachdruck zu verfolgen. Wir sind heute nicht auf Kurs, das Ziel zu erreichen, deshalb müssen die Anstrengungen erhöht werden. Die Bekämpfung des Hungers ist aber komplex, und es gibt keine einfachen Rezepte. Es braucht in den Ländern des Südens Good Governance, die Menschenrechte müssen eingehalten werden, viele Konflikte können nur politisch gelöst werden, und Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen bei der Bekämpfung von Hunger und Armut.

Aber anscheinend wird die Welt immer unsicherer: Kriege und Konflikte halten an, der Klimawandel schreitet voran. Ist der Kampf gegen den Hunger eine Sisyphusarbeit?

Schnell: Die Auswirkungen von Konflikten und Klimawandel treffen vor allem die armen Bevölkerungsgruppen. Ihnen fehlen die Mittel und Wege, sich solchen Veränderungen anzupassen – sie leiden daher besonders. So werden Probleme wie Ungleichheit, Armut und Hunger noch verstärkt. Wer den Hunger wirksam bekämpfen will, muss deshalb auch für politische und ökonomische Stabilität und Klimaschutz sorgen. Auch Projekte, die die Anpassung an den Klimawandel unterstützen, tragen zur Ernährungssicherung bei.

Portrait von Barbara Schnell (KfW)
KfW-Abteilungsleiterin Barbara Schnell betont die Notwendigkeit einer guten internationalen Zusammenarbeit zur Beseitigung von Hunger.
Herr Mogge, eine Organisation wie die Welthungerhilfe kann zwar ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung fördern, aber kaum für politische Stabilität sorgen und den Klimawandel bekämpfen, oder?

Mogge: In der Tat müssen die Rahmenbedingungen für politische Stabilität, soziale Gerechtigkeit oder wirtschaftliche Entwicklung von den Regierungen selbst bzw. der internationalen Staatengemeinschaft hergestellt werden. Die Kriege in Syrien oder dem Jemen benötigen diplomatische Lösungen. Aber unsere Arbeit vor Ort kann den Menschen Strategien oder Werkzeuge geben, mit denen sie ihre Lebensbedingungen verbessern und sich auf zukünftige Krisen vorbereiten können. Und wir unterstützen sie, eine Stimme gegenüber ihrer eigenen Regierung zu finden und zu erheben.

Frau Schnell, es klingt absurd, aber die meisten Hungernden leben auf dem Land und bauen selber Nahrung an. Warum ist der Hunger gerade auf dem Land verbreitet?

Schnell: So absurd ist es nicht. Weltweit leben 80 % der armen Bevölkerung, die ja besonders unter Hunger und Mangelernährung leidet, auf dem Land. 65 % der Armen sind in der Landwirtschaft tätig, in Subsahara Afrika sind es sogar über 75 %. Oft ist die landwirtschaftliche Produktivität und Nahrungsmittelproduktion jedoch eingeschränkt, weil Ackerböden übernutzt sind, die Bodenqualität sich verschlechtert.

Mogge: Hinzu kommt, dass Hunger und Mangelernährung oft ein weibliches Gesicht haben. Gerade Frauen sind traditionell auf den Feldern tätig, holen Wasser und bereiten die Mahlzeiten in den Familien vor, aber essen selbst erst zum Schluss. Der Aufbau lokaler Verarbeitungsmöglichkeiten und regionaler Lieferketten ist wichtig, um in ländlichen Gebieten neue Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Davon profitieren dann auch Frauen. Eine bessere Infrastruktur dient ebenfalls dazu, Nachernteverluste zu vermeiden, die erheblich sind.

Der Kampf gegen den Hunger muss auch mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten. In Afrika, wo heute schon die meisten Menschen hungern, wird sich die Bevölkerung bis 2050 auf 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln. Entwicklungsminister Gerd Müller hat das bildhaft beschrieben: Gewinnt „der Storch oder der Pflug“? Welche Rolle spielt die Familienplanung beim Kampf gegen den Hunger?

Schnell: Das ist tatsächlich ein Problem, denn mit wachsender Bevölkerung nimmt die produktive Fläche pro Person ab. Die Ackerfläche pro Kopf beträgt heute in Afrika knapp 0,2 Hektar. Wenn sich die Bevölkerung verdoppelt, sind es 2050 nur noch 0,1 Hektar. Die Mindestfläche von 0,14 Hektar, die laut Definition der UN-Ernährungsorganisation FAO für die Ernährung eines Menschen nötig ist, wäre dann unterschritten. Außerdem nimmt die Übernutzung der produktiven Flächen immer weiter zu, wenn die ländliche und landwirtschaftliche Entwicklung der Länder nicht deutlich verbessert wird. Das würde den Hunger verschlimmern. Es trägt deshalb ganz klar zur Hungerbekämpfung bei, durch verbesserte Familienplanung das Bevölkerungswachstums zu verlangsamen.

Herr Mogge, Sie waren selber lange in Afrika tätig und haben dort gelebt. Haben Sie die Auswirkungen des Bevölkerungswachstums gespürt?

Mogge: Ich habe erlebt, wie etwa in Äthiopien oder Ruanda junge Menschen ihre Existenz nicht mehr durch die Landwirtschaft sichern können, weil die Flächen schlichtweg zu klein sind. In unserer Projektarbeit sehen wir, dass Bildung und Ausbildung wichtige Elemente sind, um die Geburtenrate zu verändern. Jedes zusätzliche Schuljahr für Mädchen ist wichtig. Auch die Gleichberechtigung der Geschlechter insgesamt spielt eine wichtige Rolle. Sinkende Geburtenraten sind auch ein Ausdruck von Optionen und der Möglichkeit, eine Wahl zu haben. Das beginnt beim Aufbau von sozialen Sicherungssystemen und Krankheitsvorsorge sowie Verhütungsmitteln.

Portrait von Matthias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe
Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, unterstreicht die Bedeutung von Bildung insbesondere für Frauen, die auf lange Sicht Hunger reduzieren kann.
Welche Aufgaben haben die nationalen Regierungen, zum Beispiel in Afrika, um die Ernährung ihrer Bevölkerung zu sichern?

Schnell: Wie bereits angesprochen müssen die nationalen Regierungen ihr Möglichstes tun, um für politische und wirtschaftliche Stabilität zu sorgen. Agrarpolitik und Handelsabkommen sind äußerst wichtig für die Länder, in denen Landwirtschaft der Hauptwirtschaftszweig ist. Der Ausbau der Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme sowie die infrastrukturelle Anknüpfung ländlicher Räume werden auch in Zukunft entscheidend beim Kampf gegen Hunger, Armut und Ungleichheit auf dem afrikanischen Kontinent sein. Dabei unterstützt die KfW im Auftrag der Bundesregierung die Anstrengungen der Partnerländer.

Während die KfW mit nationalen Regierungen zusammenarbeitet, arbeiten Sie, Herr Mogge, dagegen meist mit lokalen Nicht-Regierungsorganisationen. Welche Rolle spielen die NROs bei der Ernährungssicherung?

Mogge: Wir können über unsere lokalen Partner und Initiativen direkt in den Dörfern und Gemeinden ansetzen, um die Lebenssituation der Menschen nachhaltig zu verbessern. Zum Einen bieten wir ganz konkrete Lösungsansätze für den Alltag, z.B. neue Bewässerungs- und Anbaumethoden für dürrebedrohte Gebiete. Zum Anderen schaffen wir über Kooperativen oder andere Zusammenschlüsse auf unterster Ebene eine Organisationsform für die Menschen, mit der sie gegenüber lokalen staatlichen Stellen ihre Bedürfnisse artikulieren und Veränderungen einfordern können. Über unsere Arbeit entsteht quasi der Resonanzboden für die großen politischen Veränderungen.

Laut Entwicklungsminister Gerd Müller gehen in manchen afrikanischen Ländern rund 50 % der Ernte durch schlechte Lagerung verloren. Was kann dagegen getan werden?

Schnell: Tatsächlich fällt der Großteil der Nahrungsmittelverluste in Afrika bei Ernte, Lagerung und Transport an. Bei der Aufbewahrung liegt das in der Regel am Missmanagement, ungeeigneten Lagermöglichkeiten oder fehlender Infrastruktur. Ernte lagert im Freien, vertrocknet oder wird bei Starkregen weggeschwemmt. Die KfW unterstützt die Länder deshalb dabei, Infrastruktur und geschützte Lagermöglichkeiten zu schaffen. Dazu gehört der Pistenausbau, um ländliche an urbane Regionen und deren Märkte anzubinden.

Mogge: Hier ergänzen wir uns in vielen Ländern. Oft sind es kleine Maßnahmen wie etwa der Bau solider Lagerstätten oder Trainingsangebote, um aus Tomaten oder Obstsorten neue Produkte herzustellen. Die Frage der Verluste stellt sich aber nicht allein in unseren Projektländern. Bei uns werden jährlich tonnenweise Nahrungsmittel weggeschmissen, weil sie nicht den Normen oder Vorlieben der Verbraucher entsprechen. Wertvolle Energie und Rohstoffe werden dadurch vernichtet.

Matthias Mogge in Mali in einer Versammlung von Maliern
Mathias Mogge beim Besuch eines Bewässerungsprojekts in dem Dorf Lattakaf, Mali.