Meldung vom 22.10.2019 / KfW Entwicklungsbank

„Wir stehen vor einer Zivilisationswende“

Bundestagspräsident Schäuble bei einer KfW-Veranstaltung über Hunger und Klimawandel

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.
Zu Gast bei der KfW in Berlin: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

Wie lassen sich der Kampf gegen Hunger und die Bemühungen gegen den Klimawandel in Einklang bringen? Um diese Frage drehte sich eine Abendveranstaltung der KfW Entwicklungsbank und der Welthungerhilfe am 16. Oktober in Berlin. Prominenter Gastredner war Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der dem Thema in einem knapp zwanzig minütigen Vortrag auf den Grund ging.

Den Hunger zu beseitigen, dabei den Klimawandel in den Griff zu bekommen und die Meere intakt zu halten, sei eine äußerst anspruchsvolle und auch widersprüchliche Aufgabe, sagte Schäuble vor rund 150 Zuschauern. Weil Landwirtschaft nicht selten in Konkurrenz zu klimaschonenden Maßnahmen etwa durch Walderhalt oder Wiederaufforstung steht. Beides gleichzeitig zu bewältigen, wie in der Agenda 2030 vorgesehen, „ist eine große Herausforderung“.

Besorgniserregender Trend: Wieder mehr Hungernde

Zumal die Zahl der Hungernden zuletzt wieder gestiegen ist, von unter 800 auf 822 Millionen, und es dem jüngsten Welthungerindex zufolge immer noch 47 Länder gibt, in denen Hunger ein ernstes, sehr ernstes oder gravierendes Problem darstellt. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, werden einige Dutzend Länder das Ziel „zero hunger“ bis 2030 verfehlen. Der Druck auf die Nahrungsmittelproduktion steigt also.

Trotzdem wäre es nach Schäubles Ansicht ungünstig, den Hunger kurzfristig mit Maßnahmen zu bekämpfen, die langfristig nicht nachhaltig sind. Er halte es weder mit den „Romantikern“, zitierte Schäuble eine Unterscheidung des bekannten Oxford-Ökonomen Paul Collier, die den Lebensstil der Menschen radikal ändern und in völlige Harmonie mit der Natur bringen wollten. Noch mit den „Ignoranten“, die die Grenzen des Planeten überhaupt nicht beachteten. Sondern es gehe darum, einen Weg dazwischen zu finden, auch um die Menschen nicht zu überfordern. Es gelte, Armut und Hunger zu vermindern, ohne dabei gleichzeitig die Erde zu überlasten.

Technische Lösungen reichen nicht

„Mit technischen Neuerungen allein ist das Problem allerdings nicht zu lösen“, sagte Schäuble an die Adresse all derjenigen, die glauben, es braucht nur Innovationen und intelligente neue Technologien. „Wir müssen auch die Art, wie wir produzieren und konsumieren ändern“, eine „Zivilisationswende ohne historisches Beispiel meistern“. Und das Ganze auch noch unter enormem Zeitdruck. Das Klimapaket der Bundesregierung, inklusive einer CO2-Bepreisung, sei deshalb ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Die Gastgeber beim anschließenden Empfang: Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe und KfW-Bereichsleister Stephan Opitz
Die Gastgeber beim anschließenden Empfang: Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe und KfW-Bereichsleister Stephan Opitz.

KfW-Bereichsleiter Stephan Opitz, der in den Abend einführte, mahnte ebenfalls ein neues Handeln und Denken in Bezug auf Ernährungssicherheit und Klimawandel an. Vor allem bei der Anpassung an die Folgen der Erderwärmung sei noch viel zu tun: Wasser effizienter nutzen, angepasste Arten und Sorten anbauen, Nahrungsmittelverluste vermindern und Klimarisiken absichern, nannte er als Beispiele für bedeutsame Maßnahmen. All das fördert die KfW, die sich als Klimabank versteht, bereits. „Aber um Hunger in Zeiten des Klimawandels wirksam zu bekämpfen, brauchen wir neben Einzelengagements vor allem eine systematischere und großflächigere Herangehensweise“, zum Beispiel in Form internationaler Kooperationen und Allianzen.

Auch die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, beklagte den Lebensstil und die Art des Wirtschaftens und Konsumierens der Industriestaaten, weil er die Ernährungssituation in anderen Weltgegenden gefährde. „Deshalb ist es jetzt höchste Zeit, dafür Verantwortung zu übernehmen.“ Die Maßnahmen sowohl im Kampf gegen den Hunger als auch gegen den Klimawandel müssten noch deutlich ambitionierter werden, forderte sie.

Klimawandel erhöht den Stress

Darin stimmten auch die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer anschließenden Podiumsdiskussion überein, nicht zuletzt, weil „der Klimawandel ein Stress-Multiplikator ist“, wie eine Teilnehmerin sagte. Er kann Konflikte anheizen, Wetterextreme intensivieren, Not verschärfen oder Migrationsbewegungen auslösen – und alle diese Faktoren verstärken ihrerseits wieder den Hunger. Insofern besteht eine enge Verbindung zwischen Hunger und Klimawandel.

Umso wichtiger sei es, Landwirtschaft so effizient und umweltschonend wie möglich zu betreiben und dabei möglichst auch noch zum Klimaschutz beizutragen. Chancen sahen die Redner dafür noch eine ganze Menge, zum Beispiel durch Rehabilitierung von Land oder durch Kohlenstoffbindung in Böden, aber entscheidend ist: „Wir müssen handeln.“ Das war auch ein Fazit des Bundestagspräsidenten, der sagte: „Untätig bleiben, können wir uns nicht leisten.“

KfW und Welthungerhilfe vertiefen Zusammenarbeit

Vor der Veranstaltung hatten die beiden Gastgeber – die Welthungerhilfe und KfW – eine schon bestehende Kooperationsvereinbarung förmlich verlängert. Darin sichern sich beide Seiten zu, ihre Zusammenarbeit zu vertiefen. Das schließt Projekte vor Ort ein. Dazu gehören aber auch gemeinsame Veranstaltungen, wie die anlässlich der Veröffentlichung des jährlichen Welthungerindexes am 16. Oktober, zu der KfW und Welthungerhilfe bereits zum 7. Mal eingeladen hatten.

Podiumsdiskussion
Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, und KfW-Abteilungsleiterin Barbara Schnell unterzeichnen eine neue Kooperationsvereinbarung.