Meldung vom 13.11.2017 / KfW Entwicklungsbank

"Blaupause für Blue Action"

Portrait von Inger Andersen
IUCN-Chefin Inger Andersen zeigt sich besorgt über die derzeitige Lage der Weltmeere.

Inger Andersen, Generaldirektorin der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature), betont, dass es höchste Zeit sei, dem Schutz der Weltmeere Vorfahrt zu geben. Im Interview spricht die Dänin über die Ausweitung von Meeresschutzgebieten, verantwortungsvollen Fischfang und die Notwendigkeit, kleine Fischergemeinden zu unterstützen. Außerdem bezeichnet sie den Blue Action Fund der KfW als Blaupause für andere.

Wie stark sind die weltweiten Fischbestände bedroht?

Die Lage ist sehr ernst – rund 90 %der weltweiten Fischbestände sind völlig ausgebeutet oder überfischt. Das ist katastrophal. Denn Fisch ist unverzichtbar für unsere Ernährung und unser Leben. Dank der Weltmeere können wir uns gesund ernähren und ausreichend mit Eiweiß versorgen. Ungefähr 17 % aller tierischen Eiweiße nimmt die Weltbevölkerung durch den Verzehr von Fisch auf. Wir sind auf Fisch angewiesen, drohen jedoch bei der Fischproduktion an die Grenzen der Nachhaltigkeit zu stoßen. Wir müssen daher mehr investieren, um zu erhalten, was wir für die Zukunft benötigen.

Meinen Sie damit auch Investitionen in Aquakulturen?

Unbedingt, Aquafarming spielt eine wichtige Rolle. Aquakulturen können beim Erreichen des Nachhaltigkeitsziels gegen Hunger einen wertvollen Beitrag leisten. Schon heute stammt rund die Hälfte der gesamten Fischproduktion aus Aquakulturen, und dieser Anteil wird noch weiter steigen. Aber wir müssen sie richtig betreiben; Aquakulturen müssen nachhaltig und umweltfreundlich sein.

Gibt es eine Grenze oder könnte man Aquakulturen beliebig ausweiten?

Tatsächlich haben Aquakulturen bei sorgfältigem Management ein nahezu unbegrenztes Potenzial. Viele von ihnen befinden sich allerdings in ökologisch heiklen Gebieten. Auch Schadstoffbelastung und Krankheiten stellen Probleme dar, die es zu bewältigen gilt. Wildfische als Futtermittel zu verwenden, ist ebenfalls nicht ratsam, da sonst diese weiter unter Druck geraten. Das stünde im Widerspruch zu den Maßnahmen, die doch genau den Druck auf die Fischbestände verringern sollen. Eine Aquakulturwirtschaft jedoch, die gut gemanaged und kontrolliert ist, angemessenen Gesetzen und effektiven Aufsichtsbehörden untersteht, kann einen sehr wichtigen Beitrag zur Eiweißversorgung der Menschen leisten.

Fisch ist unverzichtbar. Eine Möglichkeit, die Bestände zu erhalten, sind entsprechende Schutzmaßnahmen. Doch derzeit stehen lediglich etwa 3 % der Weltmeere unter Schutz. Warum wächst diese Fläche nicht schneller?

Einer der Gründe ist die enorme Größe der Ozeane, und dass sie weit außerhalb des Geltungsbereichs nationaler Rechtsprechungen liegen. Außerdem haben noch nicht alle Länder begriffen, dass geringere Fangquoten zu höheren Erträgen führen können. Die Weltbank veröffentlichte in diesem Jahr einen Bericht, demzufolge niedrigere und damit nachhaltigere Fischfangquoten der Branche jährliche Umsatzsteigerungen von bis zu 83 Mrd. USD bescheren könnten.

Hat die Branche das schon verstanden?

Ich denke schon, denn immer mehr Unternehmen wissen mittlerweile, dass sie sich an den natürlichen Reproduktionskurven orientieren müssen. Denken wir nur einmal an die verschiedenen Zertifizierungen, die es bereits gibt. Das geht zwar alles nicht schnell genug, doch wir bewegen uns in die richtige Richtung. Ein Teil der Maßnahmen muss auf jeden Fall dem besseren Schutz der natürlichen Ressourcen dienen. Die internationale Ziele sehen vor, dass bis 2020 10 % der Weltmeere unter Schutz gestellt sein sollen. Wir von der IUCN wünschen uns jedoch viel mehr, nämlich etwa 50 %.

Denken Sie, dass überhaupt die 10 % erreicht werden?

Das ist auf jeden Fall zu schaffen. Meiner Meinung nach müssen wir das auch erreichen. Die Natur ist übrigens überaus nachsichtig. Wenn man Arten vor ihrer Ausrottung unter Schutz stellt, erholen sich die Bestände schnell wieder.

Wie können wir kleine Fischer in Zeiten unterstützen, in denen weniger Fischfang betrieben werden darf, als ihrer Ernährung notwendig wäre?

Auch wenn Fischfanggemeinden nicht hauptverantwortlich für Überfischung sind, kann und sollte viel dafür getan werden, um Fisch für sie wertvoller zu machen: Eine bessere Lieferkette, Investitionen in Kühlanlagen und ein besserer Marktzugang. Solche Investitionen können hilfreich sein und dazu beitragen, dass Fischer so viel verdienen, wie sie zum Leben brauchen.

Wie sieht es mit der Hochsee aus? Dort gilt bislang kein internationales Recht...

Hier stecken wir tatsächlich noch in den Kinderschuhen. Für die Hochsee gibt es derzeit keine hinreichenden Gesetze, doch auch hier benötigen wir einen gewissen Rechtsrahmen. Entsprechende Gespräche werden derzeit auf UN-Ebene aufgenommen. Wir bei der IUCN unterstützen dies voll und beteiligen uns bereits aktiv daran.

Eine weitere schwerwiegende Bedrohung stellt die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll dar. Was sollte Ihrer Meinung nach dagegen getan werden?

Da müssen wir an Land anfangen. Zahlreiche Länder haben bereits bestimmte Kunststoffe verboten, was sehr zu begrüßen ist. Besonders wichtig ist auch die Entsorgung von Plastikabfällen, die durch Gebühren und Vorschriften geregelt wird, aber auch die Verbesserung der kommunalen Abfallwirtschaft und Müllabfuhr. Hier müssen wir viel stärker in Richtung einer Kreislaufwirtschaft gehen. Außerdem brauchen wir neue Verfahren zur Herstellung von Kunststoff. Ursprünglich sollte Kunststoff so langlebig wie möglich sein, doch heute müsste er eigentlich so schnell und umweltverträglich wie möglich abbaubar sein.

In welchen Bereichen werden Sie als IUCN Ihren Einsatz zum Schutz der Weltmeere intensivieren?

Wir bringen verschiedene Stakeholder von örtlichen Fischern bis hin zu Tourismusvertretern an einen Tisch. Das möchten wir auf mehr Länder ausdehnen, weil wir dieses Prinzip für besonders effektiv halten. Zweitens möchten wir durch Erforschung und Kartierung der Ozeane neue Erkenntnisse gewinnen. Drittens möchten wir den Gesundheitssektor ins Boot holen, da wir noch nicht genügend über die Auswirkungen von Plastik auf die menschliche Gesundheit wissen – und das ist eine eklatante Wissenslücke. Viertens unterstützen wir Länder bei der Festlegung rechtlicher bzw. gesetzlicher Rahmenbedingungen. Unsere Schwerpunkte liegen also auf Mobilisierung, Kartierung und Forschung sowie Gesundheit und Gesetzgebung.

Die KfW hat eine Stiftung mit dem Namen Blue Action Fund gegründet, die unter anderem nachhaltige Fischerei fördern soll. Wie schätzen Sie dieses neue Instrument ein?

Die Gründung dieser Stiftung ist eine absolut begrüßenswerte Maßnahme der KfW, da sie wichtige finanzielle Unterstützung für den Erhalt von Meeren und Küsten leistet. Das ist genau, worauf es ankommt.

Ist der Blue Action Fund einzigartig?

Ich kenne zumindest kein vergleichbares Instrument. Es ist großartig, dass Deutschland hier mit besonderem Blick auf die Fischfanggemeinden und Armutsbekämpfung eine Führungsrolle einnimmt. Das ist wirklich sehr positiv. Wir hoffen, dass der Blue Action Fund eine Blaupause für ähnliche Programme sein wird.

Das Interview führte Friederike Bauer.