Meldung vom 27.10.2017 / KfW Entwicklungsbank

"Küsten sind besonders betroffen"

Portrait von Stephane Hallegatte
Stephane Hallegatte ist ein international anerkannter Umweltökonom und Meteorologe der Weltbank.

Stephane Hallegatte ist leitender Ökonom bei der Globalen Fazilität der Weltbank zur Verringerung und Bewältigung von Katastrophen (Global Facility for Disaster Reduction and Recovery, GFDRR). Im Interview spricht er über klimabedingte Risiken für Küstengebiete und die Möglichkeiten, sie zu verringern.

Extreme Wetterereignisse wie Hurrikan "Irma" haben jüngst für große Aufmerksamkeit gesorgt. Im Mittelpunkt standen vor allem die USA, obwohl es die kleinen Inselentwicklungsstaaten in der Karibik ebenfalls sehr hart getroffen hat. Können Sie die Schäden dort bereits einschätzen?

Länder wie Dominica und Antigua und Barbuda hat es fürchterlich getroffen und sie werden lange brauchen, um sich zu erholen. Die Weltbank und der GFDRR sind immer noch dabei, den Bedarf für die Zeit nach der Katastrophe zu ermitteln und haben festgestellt, dass er in Antigua und Barbuda wahrscheinlich 10 % und in Dominica 100 % des Bruttoinlandsprodukts übersteigen wird. Wir sprechen also über eine massive Katastrophe. Zahlreiche andere Länder wie Sierra Leone, Indien, Sri Lanka und Bangladesch waren, ohne die gleiche Aufmerksamkeit in den Medien zu erhalten, ebenfalls von schweren klimabedingten Katastrophen betroffen – es war ein schwieriger Sommer.

Da der Klimawandel voraussichtlich mehr solcher Ereignisse mit sich bringen wird, stellt sich die Frage, welche Regionen am stärksten gefährdet sind und welche Vermögenswerte besonders geschützt werden müssen.

Wirtschaftliche Analysen können hier irreführend sein. Misst man die Risiken oder Verluste in Dollar, befinden sich die kritischsten Gebiete in den reichen Ländern und Regionen, weil dort viel an Wert in Form von Häusern, Infrastruktur, Fahrzeugen usw. vorhanden ist. Betrachtet man jedoch die Auswirkungen auf Menschen und Familien, sind die ärmeren Personen und Gebiete am stärksten gefährdet. Nach Katastrophen müssen sie sich bei so grundlegenden Dingen wie Nahrungsmitteln, Arztbesuchen oder dem Schulbesuch ihrer Kinder einschränken. Sie haben auch kaum Zugang zu Ersparnissen oder Krediten, um sich ein neues Leben aufzubauen. Und allzu oft sind die Freunde und Familien armer Menschen ebenfalls arm, sodass sie auch von dort wenig Unterstützung erhalten.

Wo sehen Sie Möglichkeiten und Schwerpunktbereiche, wenn es darum geht, die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften und Volkswirtschaften zu stärken?

Die Maßnahmen sollten auf zwei Säulen gründen: Prävention und Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung, damit sie Katastrophen, die sich nicht vermeiden lassen, besser bewältigen können. Hier bieten sich viele Möglichkeiten, etwas zu tun: Wir können zum Beispiel naturbedingte Risiken noch mehr bei der Stadtplanung berücksichtigen, wir können mehr investieren, um Hochwasser besser zu bewältigen, und wir können uns anschauen, wie wir Gebäude – dabei vor allem Schulen und Krankenhäuser – bauen und instand halten. Allerdings können wir nicht alle Katastrophen verhindern und müssen deshalb dafür sorgen, dass die Bevölkerung sie besser bewältigen kann. Auch hier kann mit wenig Aufwand viel erreicht werden. Zum einen durch vorhandene soziale Sicherungsnetze, wie etwa der an Bedingungen geknüpfte Geldtransfer, der in vielen Ländern eingeführt wurde, um der Bevölkerung nach Katastrophen zu helfen.

Welchen Beitrag können Finanz- und Entwicklungsinstitutionen auf diesem Gebiet leisten?

Prävention macht sich häufig bezahlt. Der Bau von Küstenschutzanlagen ist teuer, verringert jedoch künftige Verluste durch Überschwemmungen. Gebäude aus Stahlbeton kosten zwar mehr, aber sie müssen nicht nach jedem Sturm repariert werden. Die Hindernisse für gute Vorbeugung sind also nicht wirtschaftlicher Natur, sondern finanzieller. Widerstandsfähigere Infrastruktur und Vermögenswerte sind häufig mit höheren Investitionskosten verbunden, darin liegt das Problem. Länder und Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln tendieren daher zu den günstigeren Optionen, auch wenn diese langfristig mit höheren Kosten verbunden sind. Finanzierungen bereitzustellen, ist deshalb sehr wichtig.

Was können diese Institutionen im Katastrophenfall tun?

Sie können helfen, den dringendsten Bedarf zu decken. Die Weltbank bietet beispielsweise ein Instrument mit der Bezeichnung "Cat-DDOs" an. Es bietet vorsorgliche Kreditlinien an, die Regierungen im Fall einer Naturkatastrophe in Anspruch nehmen können. Auf diese Weise können sich Regierungen nach einer Katastrophe darauf konzentrieren, rasch ihrer Bevölkerung zu helfen ohne das Umschichten von Haushaltsmitteln oder ausländische Hilfe abwarten zu müssen. Und sie können sicherstellen, dass sämtliche Entscheidungsträger Zugang zu dem Wissen haben, das sie benötigen, um richtige Entscheidungen zu treffen. Die GFDRR treibt seit Jahren Open-Source- und Open-Data-Lösungen voran, um die Daten über Risiken, vor allem ärmerer Menschen, besser zugänglich zu machen.

Welche besonderen Herausforderungen sind mit dem Anstieg der Meeresspiegel verbunden?

Ein höherer Meeresspiegel wird Auswirkungen auf sämtliche Küsten, Küstenstädte und Häfen haben und daher eine immense Herausforderung darstellen, nicht zuletzt, weil der Unsicherheitsfaktor hoch ist. Die Schätzungen zum Meeresspiegelanstieg bis 2100 weichen um nahezu eine Größenordnung voneinander ab und machen langfristige Planungen äußerst schwierig. Aus diesem Grund investieren wir in Methoden, die bei uns unter das Stichwort "Entscheidungsfindung bei Unsicherheit" fallen. Dabei werden tendenziell Lösungen bevorzugt, die flexibel, im Lichte neuer Risiken einfach anzupassen und nicht unumkehrbar sind. Zum Beispiel sind natürliche Lösungen oder Hybridlösungen, bei denen "harte" Infrastruktur mit Mangroven, Korallenriffen oder Feuchtgebieten kombiniert wird, häufig weniger anfällig als Deiche oder Dämme. Kurz gesagt, unter solchen Ansätzen sollen sich Entscheider stets die Frage stellen: "Wie werden meine Optionen in 10 oder 20 Jahren aussehen, wenn sich der Meeresspiegel doch nicht wie erwartet entwickelt hat?"

Manche Leute glauben, dass der Kampf gegen den Klimawandel mancherorts nicht gewonnen werden kann, und schlagen deshalb eine Umsiedlung von Menschen vor. Haben sie Recht?

Es gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Aus technischer Sicht ist ein Schutz gegen den Meeresspiegelanstieg fast immer möglich, auch wenn er teuer, mit negativen Folgen für die Umwelt und mit hohen Restrisiken verbunden sein kann. Die Menschen werden eine solche Entscheidung nicht zuletzt von ihren Eigentumsverhältnissen abhängig machen. Menschen in reichen Gegenden können immer in Schutzmaßnahmen investieren. Schwieriger ist die Situation in ärmeren und wenig bevölkerten Regionen; dort können sich solche Vorkehrungen als unbezahlbar erweisen. Für die Zukunft gilt es wohl eine Balance herzustellen zwischen Investitionen in "harte" Schutzmaßnahmen, Umweltmaßnahmen zum Erhalt von Ökosystemen, die uns kostenlos schützen, und Umsiedlungen, wenn alles andere unmöglich oder zu teuer ist. Keine dieser Optionen ist einfach. Vorausschauendes Handeln ist äußerst wichtig, um die wirtschaftlichen und menschlichen Kosten eines höheren Meeresspiegels möglichst gering zu halten.

Das Interview führte Jan Fuhrmann