Meldung vom 29.04.2015 / KfW Entwicklungsbank

"Bei Energie geht es um Menschen"

Im Gespräch mit: Kandeh Yumkella, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen

Kandeh Yumkella, Sonderbeauftragter von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon für SE4ALL, will bis 2030 alle Menschen mit Energie versorgen, und zwar mit umweltfreundlicher und sicherer Energie. Bedenkt man, dass 1,2 Milliarden Menschen immer noch keinerlei Zugang zu nachhaltiger Energie haben, hat er eine gewaltige Aufgabe vor sich. In einem Interview mit der KfW Entwicklungsbank erklärt Yumkella, warum er es für wichtig hält, dieses Ziel innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens zu erreichen.

Energie für alle klingt nach einem visionären Ziel, aber ist es angesichts der aktuellen Situation auch realistisch?

Kandeh Yumkella: Ich gebe zu, dass es ein ziemlich ehrgeiziges Ziel ist, das allerdings nicht unmöglich zu erreichen ist. Wir können es schaffen. Und wir müssen es auch schaffen – aus mehreren Gründen: Nachhaltige Energie ist der rote Faden, der Wirtschaftswachstum, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz verbindet. Mit anderen Worten: Energie ist der entscheidende Faktor des 21. Jahrhunderts, durch den Wirtschaftswachstum entsteht und Entwicklungsziele mit Rücksicht auf das Klima erreicht werden. Es ist die vielleicht größte Chance unserer Zeit, eine nachhaltige Energieversorgung für alle zu erreichen. Aus diesem Grund muss dieses Vorhaben einen festen Platz auf der Entwicklungsagenda haben. Dazu ist ein solider institutioneller Rahmen nötig.

Bislang hat die Energieagenda innerhalb der Vereinten Nationen noch kein institutionelles Zuhause. Viele UN-Stellen beschäftigen sich zwar mit dem Thema, aber es gibt keine zentrale Zuständigkeit. Denken Sie an eine internationale Energieorganisation, wenn Sie von einem soliden institutionellen Rahmen sprechen?

Yumkella: Auf lange Sicht, denke ich, benötigen die Vereinten Nationen eine eigene Energieorganisation, weil nur auf diese Weise genügend Unterstützung für 15 oder 20 Jahre geschaffen werden kann. Es muss allerdings eine Organisation sein, die neben staatlichen Einrichtungen auch den Privatsektor einbindet, da wir auf dessen Geldmittel und Know-how angewiesen sind. Die erforderlichen Investitionen können nicht von den Regierungen allein bewältigt werden. Da die Struktur der UN eine private Einbindung nicht einfach so ermöglicht, empfehle ich eine Art Hybridinstitution. Wie diese genau aussehen soll, müssen die Mitgliedsstaaten untereinander diskutieren. Auf jeden Fall aber benötigen wir in eine Institution, die das siebte Ziel nachhaltiger Entwicklung verfolgt: Energie.

Wie viele Staaten unterstützen Ihre Idee einer eigenen UN-Organisation für Energiefragen?

Yumkella: Es ist eine dieser Situationen, bei der jeder in den Himmel kommen, aber keiner sterben möchte: Alle wollen nachhaltige Energie fördern, doch sobald man das Thema einer eigenen Organisation anspricht, haben die Mitgliedstaaten Bedenken wegen der Zahlungen, die sie leisten müssten. Andererseits: Als wir vor einigen Jahren mit dem Energie-Lobbying begannen, dachten wir auch nicht, dass wir damit weit kommen würden. Damals wollten die Mitgliedstaaten nicht einmal über Energie sprechen. Und schauen Sie, wo wir in dieser Frage heute stehen. Wir haben ein nachhaltiges Entwicklungsziel, wir haben ein Narrativ, und wir haben Regierungen, die mitmachen. Wir machen also Fortschritte, müssen allerdings einen Schritt nach dem anderen setzen.

Wieviel Geld braucht es, um nachhaltige Energie überall bereitzustellen?

Yumkella: Es handelt sich um eine gewaltige Investition: 50 Milliarden Dollar zusätzlich pro Jahr nur für den Zugang, außerdem zwischen 300 und 350 Milliarden Dollar jährlich für die Energieeffizienz. Für erneuerbare Energien brauchen wir weitere 200 bis 250 Milliarden Dollar pro Jahr. Das sind riesige Summen, die nur mit Hilfe des privaten Sektors aufgebracht werden können. Die Regierungen müssen den Anfang machen, die Regelwerke und Rahmenbedingungen für diese Energiewende festlegen und die Märkte mit Subventionsanreizen ankurbeln. Sobald das alles steht, muss der private Sektor übernehmen. Wir brauchen diese Verbindung von öffentlicher Initiative und privatem Engagement.

Welche Hindernisse gibt es abgesehen von den Finanzen noch?

Yumkella: Ganz klar: Alles hängt von den Speicherlösungen ab. Wenn wir das Speicherproblem beseitigen, können wir die Kosten erheblich senken. Und dadurch lösen wir das Problem schwankender Energieeinspeisungen. Das bedeutet, dass wir erneuerbare Energien jederzeit und überall einsetzen können. Dann kann jeder Verbraucher eigene Solarmodule installieren, die von ihm erzeugte Energie speichern und den Rest möglicherweise sogar verkaufen. Die Speicherung ist also der springende Punkt. Wenn wir dieses Problem in den Griff kriegen und die Kosten senken, können wir die Energie demokratisieren. Das ist letztendlich unser Ziel, weil es bei Energie immer auch um Menschen geht. Diese Tatsache dürfen wir niemals vergessen. Wir möchten Energie humanisieren.

Behindert der sinkende Ölpreis Ihr Vorhaben?

Der niedrige Ölpreis ist in der Tat ein Problem. Deswegen müssen sich die Länder zusammentun. Wir können die Entwicklung nicht dem Markt allein überlassen. Nehmen Sie vier oder fünf Länder wie Deutschland, Japan, China, Indien und andere, die mitmachen möchten. Wenn sich diese Länder mit ihrer gebündelten technologischen Macht und ihrem enormen Markteinfluss zu nachhaltiger Energie bekennen, wird der Preis für erneuerbare Energien rasch sinken, und andere werden ihrem Beispiel folgen. Dafür benötigen wir aber eine wegbereitende Koalition dieser Art.

Wie bewerten Sie die Rolle Deutschlands in dieser Frage, und wie könnten Entwicklungsländer von der deutschen Energiewende profitieren?

Yumkella: Deutschland ist in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter. Der Umstieg auf erneuerbare, effizientere Energiequellen, den Deutschland derzeit vollzieht, zeigt der Welt, dass Volkswirtschaften weit umweltfreundlicher und nachhaltiger gesteuert werden können als in der Vergangenheit, und zwar ungeachtet ihrer Größe. Die dazu notwendigen Technologien werden entwickelt, und es zeigt sich, dass umweltfreundliche Volkswirtschaften durchaus in der Lage sind, Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Allerdings müssen diese technischen Innovationen für Entwicklungsländer verfügbar gemacht werden, wenn sie dem Beispiel Deutschlands folgen sollen. Sonst werden wir das Ziel eines universellen Zugangs zu Energie nicht erreichen. Und diesen Zugang brauchen wir, um gesunde Volkswirtschaften aufzubauen, insbesondere in Afrika.

Das Interview führte Friederike Bauer.

Der stellvertretende UN-Generalsekretär spricht.
Kandeh Yumkella, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und Sonderbeauftragter der Initiative "Nachhaltige Energie für alle" (Sustainable Energy for All; SE4All): "Wir wollen Energie humanisieren".